Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
sterben.«
    Diese Bohnenstange von einem Mädchen konnte Feuer spucken.
    Zum ersten Mal hatte Kate wirklich grässliche Angst.
    Viridianas Augen wuchsen, ihre Pupillen wurden wirbelnde Spiralen. Geneviève durchfuhr ein Ruck, eine unsichtbare Kraft packte sie. Kate spannte sich an, spürte den Impuls, sich zwischen die beiden zu werfen. War das mutig oder dumm? Sie wusste es nicht.
    Plötzlich fragte Penelope: »Und wer sind Sie, Fräulein, dass Sie das zu entscheiden haben?«
    Penny wusste nicht, mit wem sie es zu tun hatte. Das machte sie mutig und dumm. Sie ging auf Viridiana zu, bereit, diese impertinente halbe Portion von einem Monstrum ordentlich zusammenzustauchen, als handle es sich um irgendein nachlässiges Ladenmädchen und nicht um die heimliche Herrscherin einer ewigen Stadt. Penny würde vernichtet werden. Kate konnte sie nicht in die Schussbahn laufen lassen, ohne dass sie wusste, was sie tat. Sie dachte nicht weiter nach, sondern stellte sich vor Penelope und Geneviève. Dabei wurde sie ganz ruhig.

    »Wenn du an meine Freundinnen herankommen willst, musst du erst mit mir fertig werden«, sagte sie.
    Viridiana dachte darüber nach.
    »Miss Reed«, sagte sie, »die Liebe Ihres Lebens hat Ihnen diese Älteste vorgezogen, und doch sind Sie bereit, für sie zu sterben. Miss Churchward, Sie mögen diese Älteste nicht einmal, und doch sind Sie bereit, für sie zu töten.«
    Die Heilige war wirklich verblüfft, aber immer noch schlau. Ihr Schuss traf Kate mitten ins Herz.
    »Wir haben viel zusammen durchgemacht«, sagte Kate. Es klang lasch, wenn man es so ausdrückte.
    Viridiana trat in die Dunkelheit zurück und kam als Santona wieder zum Vorschein. Ihre ’ndrangheta -Diener taumelten aus den Schatten der Säulen hervor.
    »Solche Gefühle vergehen, Katharine Reed«, sagte die Wahrsagerin voraus. »Vampirälteste können nicht fühlen. Sie sind herzlos, wie diese wandelnden Leichen hirnlos sind. Ihre Seelen sind entflogen. Wie auch die von euch jungen Damen. Ihr fühlt nur aus Gewohnheit noch. Das geht vorbei.«
    Die ’ndrangheta hoben Speere mit silbernen Spitzen.
    Die Mutter der Tränen hatte für den Fall, dass ihre Obermarionette versagte, offensichtlich noch eine Jagdtruppe in Reserve.
    Geneviève legte ihre Hände auf Kates und Penelopes Schultern. Sie schob sie sanft beiseite wie Türflügel und trat vor.
    »Ich werde bleiben«, sagte sie krächzend. »Aber meine Freundinnen werden gehen. Ungehindert.«
    Santonas verhutzeltes Gesicht rang mit einem Rätsel.
    Wenn Geneviève bereit war, für ihre Freundinnen zu sterben, dann konnte sie lieben und hassen und fühlen. Und Mater lachrymarum war über Vampirälteste im Irrtum.
    Santona dachte über Geneviève nach.
    Kate begriff, dass sie gerettet waren. Nicht nur für heute Nacht,
sondern für alle Zeit. Wenn Geneviève nicht nur so tat als ob, dann war es möglich, eine Älteste zu werden und trotzdem eine richtige, echte Frau zu bleiben. Kate brauchte sich nicht diesem langsamen Rückzug von der Welt zu ergeben, den sie für ihre Art als unausweichlich erachtet hatte.
    Der Morgen brach an. Rosa Licht wuchs am Himmel.
    Geneviève war zwar mitgenommen, aber nicht gebrochen. Ihre Haare glänzten im Morgenlicht. Ihr Gesicht formte sich wieder zur Vollkommenheit. Ihre Fänge glitten zurück. Ihre Hände lagen auf Kates und Pennys Schultern wie die einer richtigen Mutter, deren fester Griff einem sagte, dass man sicher war, dass einem nichts geschehen würde.
    Jetzt war Mamma Roma bei ihnen, müde und erschöpft, nachdem sie die ganze Nacht über die lüsternen Männer der Stadt bedient hatte. Sie war voller Ekel über das, was sie gerade lernen musste.
    »Du simulierst, Älteste«, sagte sie. »Du täuschst Gefühle vor, die du gar nicht hast. Du kannst nicht lieben.«
    Es war Verachtung in dem Vorwurf der Hure, aber sie ließ Kates Herz übergehen vor Freude. »Du lügst«, sagte sie triumphierend. »Weil du nämlich immer lügst.«
    Zuletzt war nur das kleine Mädchen da, namenlos, still, grausam, verloren. Zum ersten Mal in Jahrtausenden war die Mutter der Tränen gezwungen gewesen, ihre Meinung zu ändern. Sie war nicht glücklich darüber, hinderte die drei aber nicht daran, das Kolosseum zu verlassen. Das Ganze war nicht endgültig. Das kleine Mädchen war halbblind, wie ein Einäugiger, und sah nie beide Seiten eines Streitpunkts zugleich. In einer anderen Nacht würde Mater lachrymarum vielleicht zu einem anderen Entschluss kommen und sie alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher