Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Autoren: W Freund
Vom Netzwerk:
begonnen, und im ersten Augenblick wusste Jonas nicht, wo er war. Dann warf er sich rücklings auf das Kissen zurück, denn alles fiel ihm wieder ein. Wunderlich, Irmingast, die unsichtbare Alma und – das Testament.
    Als könnte er diesen Gedanken entkommen, schlug Jonas die schwere Bettdecke zurück und lief an der kalten Asche des Kamins vorbei bis zum Fenster. Im Zimmer war es frostig, der Wind polterte gegen das Fenster und drängte durch die Ritzen. Jonas schlang die Arme um sein Nachthemd.
    Vor dem Fenster besetzten die Krähen flatternd und streitend eine alte Zeder, eine von vielen in einem verwilderten Park, der sich bis zu einer hohen, steingrauen Mauer erstreckte. Hinter der Mauer erhob sich auf der Kuppel eines Hügels eine Weide, ihre Zweige schwangen im Wind wie totes Haar. Erst wollte Jonas an Peregrin Abers Tür klopfen, aber dann verließ ihn der Mut. Lieber schlüpfte er eilig in seine Sachen. Niemand sollte ihn im Nachthemd sehen.
    Er schnürte gerade die Schuhe, als es klopfte.
    Tabbi erschien, den Arm voller Kleidung. »Also, die Sachen kannst du gleich wieder ausziehen!«, sagte sie, während Jonas sich noch an seinem Schuh zu schaffen machte. Sie trat ans Bett, legte ihren Stapel ab und hielt einen schwarzen Rock hoch, beinahe so lang wie ein Mantel. »Schau! Da passt du doch rein!«
    Jonas stand auf, einen Moment abgelenkt, weil er im hölzernen Kopfteil des Betts eine Schnitzerei entdeckt hatte, die ihm bislang nicht aufgefallen war. Es war der gleiche Fink, der auch draußen an die Tür genagelt war, sitzend, die Flügel sorgsam auf den Rücken gefaltet, den kleinen Kegelschnabel keck gereckt.
    »Komm, zieh das aus!« Tabbi kniete schon vor ihm und knöpfte ihm die Joppe auf. Die Nachthaube von gestern war verschwunden und Tabbis Haar in einen strengen Knoten gebunden. Sie roch nach Frühstück, frisch gebrühtem Kaffee und noch warmem Brot. »Jetzt hilf doch mal mit!«
    Nach einer Weile, in der Jonas wie ein kleiner Junge die Arme hatte ausstrecken, sich aufs Bett setzen oder wieder aufstehen müssen, war er fertig. Zum langen Rock trug er nun eine passend schwarze Hose, dazu ein weißes Hemd, dessen breiter Kragen ihm bis auf die Schultern fiel. Tabbi trat einen Schritt zurück, legte eine Hand an ihr kantiges Kinn und betrachtete ihr Werk.
    »Da kann man nicht meckern«, sagte sie. »Jetzt siehst du wirklich aus wie ein junger Herr!« Sie strich ihm das struppige Haar aus der Stirn, zupfte noch einmal an den Rockschößen und Jonas sah an sich hinunter. Er kam sich plötzlich größer und kleiner zugleich vor. So wie er sah der Bürgermeisterjunge im Dorf aus, der steif wie ein Besenstiel an der Hand seiner Mutter ging. Er sah wieder auf, wie um sich in Tabbi zu spiegeln.
    »Diese Augen, Junge!« Die Köchin starrte ihn immer noch an. »Es kommt einem vor, als würdest du einen zweimal anschauen. Von zwei Seiten. Oder aus zwei Köpfen?« Sie lächelte.
    Jonas wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste es nie, wenn die Rede auf seine Augen kam.
    »Aber jetzt gibt es erst einmal Frühstück«, sagte Tabbi betont munter. »Der Herr Doktor wartet schon.«
    Mit seltsam steifem Rücken, ganz so, als könnte man in Kleidung wie seiner gar nicht anders, ging Jonas an Tabbis Hand den Korridor entlang. Im Tageslicht sahen die Finken an der Wand flach und unbeteiligt aus, vielleicht schliefen sie ja tagsüber mit ihren ewig offenen Augen und erwachten erst nachts in flackerndem Kerzenlicht zum Leben. Möglicherweise aber nahm auch bloß Tabbis große, harte Hand den Gemälden ihren Schrecken. Jonas jedenfalls folgte Tabbi ganz gern bis zur Treppe, deren flache, breite Stufen sich wie ein Wasserfall in die Eingangshalle stürzten.
    Die Halle unter ihnen war gleich zwei Stockwerke hoch. Die Treppe lief erst auf einen Absatz zu, machte dort kehrt und lief auf dem Steinfußboden der Halle zwischen zwei gewaltigen Pfosten aus. Hoch oben an der Decke hing ein gewaltiger Kristallleuchter, größer als das größte Wagenrad. Jonas musste die ganze Zeit auf diesen Leuchter starren, als er an Tabbis Hand treppab stieg. Wenn man genau hinhörte, sang das geschliffene Glas im Luftzug.
    Peregrin Aber saß im Speisezimmer, in Hemdsärmeln über eine Zeitung gebeugt. Sein von Tabbi gebürsteter schwarzer Rock hing über der Lehne eines gepolsterten Stuhls, die Zeitung war, zu Peregrin Abers Leidwesen, über eine Woche alt. Er hatte sie selbst nach Wunderlich gebracht, wohin sich sonst niemals eine Nachricht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher