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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Autoren: Goliarda Sapienza
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hielten mich über dem Nichts. Ich öffnete die Augen und hörte mich sagen:
    »Jetzt weiß ich, was das Meer ist.«
    Er antwortete nicht, und während er mich reglos anstarrte, zog er mir den Rock herunter, schob das Unterkleid hoch und riß mir den Schlüpfer vom Leib. Er starrte mich immer noch an, aber seine Finger begannen mich genau so zu streicheln, wie ich es immer tat, wenn Tina schrie. Plötzlich entfernte sich sein Gesicht. Ging er fort?
    »Nein, ich bleibe da, wohin soll ich schon gehen? Jetzt muß ich auch dableiben.«
    Beruhigt schloß ich die Augen. Tina schrie, und mir liefen die Schauer der Lust, die ich so gut kannte, durch den ganzen Körper. Dann wurde sein Streicheln so intensiv, daß … Was tat er da bloß? Ich sah hin. Er hatte meine Beine gespreizt und sein Gesicht zwischen meinen Schenkeln vergraben: Er streichelte mich mit der Zunge. Natürlich konnte ich das nicht begreifen, wenn ich nicht hinsah: Allein ging das nicht. Dieser Gedanke ließ mich so stark erschauern, daß Tinas Schreie verstummten und ich es war, die laut schrie, noch lauter als sie, wenn die Mama sie in die Kammer sperrte … War ich ohnmächtig geworden, oder hatte ich geschlafen? Als ich die Augen öffnete, lag eine tiefe Stille über der Ebene.
    »Jetzt müssen wir aber aufhören, bambinella . Auch wenn du keine Scham kennst, will ich dir nicht alles verderben. Zieh dich an, und mach, daß du wegkommst. Sei froh, daß ich mir den Kopf zurechtgerückt habe, den du mir verdreht hast. Und den hast du mir weiß Gott verdreht. Wer hätte das gedacht? Du bist hübsch, wirklich hübsch, aber ich will dir nicht alles verderben. Los, steh auf und verschwinde.«

3
    Ich stand auf, zog mir die Unterhose an, aber verschwunden bin ich nicht, auch wenn seine Stimme bedrohlich klang und er mich nicht ansah. Irgend etwas war anders als vorher. Jedenfalls jagte er mir keine Angst mehr ein, und ich verabschiedete mich nicht einmal. Langsam ging ich nach Hause zurück, weil ich vor Müdigkeit taumelte und in Erinnerung an diese Schauer bei jedem Schritt stolperte. Es war wunderschön gewesen.
    Mein Streicheln von früher erschien mir im Vergleich zu Tuzzus Liebkosungen wie trocken Brot. Es war richtig gewesen, Tuzzu zu fragen. Er wußte alles, und auch wenn er ein wenig ärgerlich wurde, antwortete er dann doch. Selbst jetzt, als ich dieses schiefe Gemäuer anstarrte, das die Mama Haus nannte, wußte ich, daß es jenseits der fernen Berge, die erschienen und verschwanden wie die Geister der Toten, große Häuser, Straßen und das Meer gab.
    Die Alte, die einmal im Monat kam, sprach immer von den Geistern … Heute oder morgen kommt sie wahrscheinlich wieder. Ganz bestimmt, denn heute früh hat die Mama den Ofen angeheizt und Brot gebacken. Immer wenn die Alte kommt, bäckt die Mama Brot, und zusammenmit dem Brot bäckt sie Kekse, die sie ihr dann mit Likör anbietet.
    Hinter dem Vorhang hört man Stimmen. Das muß die Alte mit ihrem Sack voller Stoffetzen sein, die die Mama dann zusammennäht.
    Als ich den schwarzen Vorhang zur Seite geschoben hatte, blieb ich wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Direkt vor mir, als ob er auf mich gewartet hätte, saß ein großer, kräftiger Mann am Tisch, größer und kräftiger noch als Tuzzus Vater. Ein Riese mit einer Menge zerzauster Haare über der Stirn und einer blauen Jacke aus einem Stoff, glänzend und haarig, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte, schaute mich lächelnd aus Augen an, die so blau waren wie seine Jacke. Seine Zähne waren weiß wie die von Tuzzu und dessen Vater.
    »Nun sieh mal einer an, was für eine Tochter ich habe, ein Mordsweib! Das gefällt mir, das gefällt mir wirklich. Ich war überzeugt, daß deine Mutter nur Tinas zustande bringt. Aber ich sehe mit Freude, daß ich mich geirrt habe, meine Tochter. Es ist eine Genugtuung, sein eigen Fleisch und Blut zu sehen, wenn es so ein richtiges Mordsweib geworden ist wie du.«
    »Hör auf! Sprich nicht so, und laß Modesta in Ruhe! Sie ist kein Mordsweib, sondern immer noch ein Kind. Verschwinde! Das sage ich dir schon die ganze Zeit. Verschwinde, oder ich hole die Polizei!«
    »Nun hört euch das an! Die Polizei! Und wo soll die sein? Wartet die etwa schon hinter der Tür? Geh doch! Lauf über die Ebene, das wird dir guttun! Du bist fett wie eine Kuh geworden. Schau mich an, wie schlank ich bin, meiner Lebtag bin ich nur gelaufen!«
    Während er das sagte, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf, schlug sich auf
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