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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten
Autoren: Kazuo Ishiguro
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dieser Fläche – ein Gewirr nymphenartiger Gestalten aus Marmor, die mit beachtlicher Kraft Wasser spien. Tatsächlich kam es mir so vor, als sei der Wasserdruck reichlich übertrieben; das andere Ende des Atriums konnte man nur durch den feinen, in der Luft schwebenden Sprühnebel erkennen. Trotzdem konnte ich mich recht schnell davon überzeugen, daß jede Ecke des Atriums ihre eigene Bar mit jeweils eigener Gruppe von Barhockern, Sesseln und Tischen hatte. Weißgekleidete Kellner durchquerten im Zickzack den Raum, und es hatte den Anschein, als sei eine recht große Zahl von Gästen anwesend – doch die Wirkung des Raumes war so, daß man die Gäste kaum bemerkte.
    Ich merkte, daß der Hoteldirektor mich mit selbstgefälligem Ausdruck musterte und darauf wartete, daß ich das Ambiente lobte. Doch es überwältigte mich ein so heftiges Bedürfnis nach Kaffee, daß ich mich einfach wegdrehte und zur nächsten Bar trat.
    Ich hatte mich gerade auf einen Barhocker gesetzt und meine Ellenbogen auf den Tresen gestützt, als der Hoteldirektor wieder hinter mir erschien. Er schnipste mit den Fingern nach dem Barkeeper, der allerdings ohnehin gerade meine Bestellung entgegennehmen wollte, und sagte: »Kenyan! Mr. Ryder hätte gerne ein Kännchen Kaffee.« Dann drehte er sich wieder zu mir um und sagte: »Nichts würde ich jetzt lieber tun, als mich hier zu Ihnen zu setzen, Mr. Ryder. Und mich gemütlich mit Ihnen ein bißchen über Kunst und Musik zu unterhalten. Leider habe ich einiges zu erledigen, was ich nicht länger aufschieben kann. Wollen Sie mich also bitte entschuldigen?«
    Obwohl ich mich nachdrücklich für seine Freundlichkeit bedankte, verbrachte er einige weitere Minuten damit, sich von mir zu verabschieden. Dann schaute er endlich auf seine Uhr, und mit einem Aufschrei eilte er davon.
    Nun, da ich allein war, muß ich wohl recht schnell in Gedanken versunken sein, denn daß der Barkeeper zurückgekommen war, hatte ich nicht bemerkt. Aber er muß wohl zurückgekommen sein, denn bald schon trank ich meinen Kaffee und starrte in die verspiegelte Wand hinter der Bar – in der ich nicht nur mein eigenes Spiegelbild, sondern auch einen großen Teil des Raumes hinter mir sehen konnte. Nach einer Weile stellte ich fest, daß aus irgendeinem Grund in meinem Kopf Schlüsselszenen eines Fußballspiels abliefen, zu dem ich vor vielen Jahren einmal gegangen war – eine Begegnung zwischen Deutschland und den Niederlanden. Ich korrigierte meine Haltung auf dem Barhocker – ich sah, daß ich mich zu sehr zusammengekrümmt hatte – und versuchte, mich an die Namen der Spieler zu erinnern, die in dem Jahr zur Mannschaft der Niederlande gehört hatten. Rep, Krol, Haan, Neeskens. Nach einigen Minuten waren mir alle bis auf zwei Spieler wieder eingefallen, aber diese beiden letzten Namen waren am Rand meines Gedächtnisses steckengeblieben. Während ich noch versuchte, mich zu erinnern, fing das Geräusch des Springbrunnens hinter mir, das ich zuerst als recht beruhigend empfunden hatte, plötzlich an, mich nervös zu machen. Es schien, als würde sich, wenn nur dieses Geräusch endlich aufhören könnte, mein Gedächtnis öffnen, als würde es mir dann gelingen, mich an die Namen zu erinnern.
    Ich versuchte immer noch, mich zu erinnern, als eine Stimme hinter mir plötzlich sagte:
    »Entschuldigen Sie, Sie sind doch Mr. Ryder, nicht?«
    Ich schaute mich um und blickte in das gesunde Gesicht eines jungen Mannes. Er war wohl Anfang Zwanzig, und nachdem ich genickt hatte, kam er sofort zur Bar herüber.
    »Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte er, »aber als ich Sie gesehen habe, mußte ich einfach sofort herüberkommen und Ihnen sagen, wie aufregend ich es finde, daß Sie hier sind. Wissen Sie, ich bin selber Pianist. Allerdings spiele ich nur aus reiner Liebhaberei. Na ja, und ich habe Sie immer schon so sehr verehrt. Und als Vater dann erfuhr, daß Sie kommen werden, war ich hellauf begeistert.«
    »Vater?«
    »Oh, Verzeihung. Ich bin Stephan Hoffman. Der Sohn des Hoteldirektors.«
    »Ach so. Guten Tag.«
    »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mich einen Augenblick zu Ihnen setze, oder?« Der junge Mann setzte sich neben mich auf einen Hocker. »Wissen Sie, Vater ist genauso begeistert, wenn nicht noch begeisterter. So wie ich Vater kenne, hat er Ihnen womöglich noch gar nicht gesagt, wie begeistert er ist. Aber glauben Sie mir, es ist ungeheuer wichtig für ihn.«
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Ja, wirklich, ich
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