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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Autoren: Greg Smith
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glänzenden Stoff, der aussah wie Haifischhaut. Für Chicago war er absolut in Ordnung gewesen, doch für Goldman Sachs kam er nicht in Frage, so viel war mir immerhin klar.
    Trotzdem ist mir der Gedanke an die Hemden, die ich damals in Palo Alto kaufte, bis heute peinlich: zwei dunkelbraune, ein schwarzes und ein dunkelgrünes. Fast alle hatten Streifen in einer kontrastierenden Farbe. Nicht gerade der Stil von Goldman Sachs. Wie so vieles, was ich erlebt hatte, seit ich nach Amerika gekommen war, war auch die Wall Street eine ganz neue Welt für mich. Im August 1997 war ich aus Johannesburg nach Stanford gekommen – mit einem ausgesprochen positiven Bild von den Vereinigten Staaten, das mir amerikanische Filme und Fernsehsendungen vermittelt hatten. In den achtziger Jahren hatte die Serie Wer ist hier der Boss? mit Tony Danza ihren Weg nach Südafrika gefunden und war für mich zu einer wichtigen Wissensquelle geworden.
    Ich wuchs als ältestes von drei Geschwistern in Edenvale auf, einem bürgerlichen Vorort von Johannesburg. Mein Bruder Mark war anderthalb Jahre jünger als ich und meine kleine Schwester Carly ganze neun Jahre. Meine Mutter war Hausfrau, und mein Vater schuftete sich ab, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das Geld war immer knapp, vor allem als alle drei Kinder auf der Privatschule waren. Wir besuchten die King David School, eine teure jüdische Tageseinrichtung, in der die Schüler Schuluniformen trugen – wir Jungen khakifarbene Safarianzüge im Sommer und Blazer, blaue Krawatten und graue Flanellhosen im Winter.
    In der achten Klasse beschlossen mein bester Freund, Lex Bayer, und ich, dass wir später einmal aufs College gehen würden – und zwar nach Amerika. Dort waren wir zwar noch nie gewesen, die Sache stand aber für uns fest. Dummerweise war der Umtauschkurs extrem ungünstig, und unsere Eltern hätten sich das nie leisten können (Lex’ Familie stand finanziell nicht besser da als meine). Lex hatte eine hochbegabte ältere Schwester, Kelly, die vor vier Jahren mit einem Vollstipendium nach Stanford gegangen war. Uns war klar, dass wir eine ähnliche finanzkräftige Unterstützung brauchten, woher wir sie bekommen sollten, war uns allerdings schleierhaft. Fünf Jahre lang bereiteten wir uns vor. Wir liehen uns Kellys zerfleddertes Übungsbuch zur Vorbereitung auf den Aufnahmetest und fragten uns gegenseitig ab. Wir bereiteten uns sowohl auf die amerikanischen Standardtests als auch auf die landesweiten südafrikanischen Prüfungen vor. Wir schlossen die High School als die beiden Jahrgangsbesten ab und hatten das unerhörte Glück, unter den zweiunddreißig von dreitausend internationalen Bewerbern zu sein, die mit einem Vollstipendium zum Studium in Stanford in Kalifornien zugelassen wurden.
    Ursprünglich wollte ich Medizin studieren, aber wie so viele Möchtegern-Ärzte scheiterte ich kläglich an der Anorganischen Chemie. Im ersten Quartal besuchte ich allerdings einen Grundkurs in Wirtschaftswissenschaft bei John B. Taylor, und war begeistert. Taylor war eine Koryphäe. Er hatte die berühmte Taylor-Regel entwickelt, nach der sich der Zinssatz der Zentralbanken ableiten lässt. Er hatte außerdem ein Lehrbuch verfasst, das an allen amerikanischen Universitäten zum Standardwerk für die Einführung in die Wirtschaftswissenschaft wurde. Und einmal im Jahr hielt er in Stanford eine Vorlesung, die einen legendären Ruf genoss.
    Der Kurs, den ich besuchte, beschäftigte sich mit der Theorie vom «Komparativen Kostenvorteil». Konkret ging es darum, warum Kalifornien in der Weinproduktion besser war als Wisconsin. Taylor trat zu der ersten Sitzung vor siebenhundert Zuhörern verkleidet als überdimensionale kalifornische Traube an, und aus den Lautsprechern dröhnte «I Heard It Through The Grapevine». Dann legte Taylor los. Komparative Kostenvorteile seien, erklärte er, dass Kalifornien anders als Wisconsin die Witterungsbedingungen und die Flächen und schlicht die größere Affinität habe, Wein herzustellen. Die komparativen Kostenvorteile waren dafür verantwortlich, dass bei gleichen absoluten Produktionskosten nicht jeder in der Lage war, ein kostengünstiges Produkt herzustellen, da zu den absoluten Kosten noch die relativen kamen, die abhängig waren vom Klima und so weiter. Während er uns all das erläuterte, hingen meine Augen wie gebannt an seinem Traubenkostüm.
    Ich nahm die Theorien begierig in mich auf, sie faszinierten mich. Wir sprachen nicht über
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