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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Autoren: Greg Smith
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irgendwelche Bindungen in unsichtbaren Molekülen wie in der Chemie. Unsere Themen waren beispielsweise: «General Motors verkauft Autos. Toyota auch. Warum differieren ihre Absatzzahlen, und welches Unternehmen arbeitet effizienter?»
    Außerdem hatte ich sehr gute Noten. Es war mein erstes Quartal in Stanford, und mein Erfolg gab meinem Selbstbewusstsein enormen Auftrieb. Von den siebenhundert Studienanfängern, die den Kurs belegten, gehörte ich am Schluss zu den fünf Besten. Ein tolles Gefühl – und gleichzeitig der Höhepunkt meiner akademischen Laufbahn, denn so weit vorn lag ich später nie wieder. Je stärker man sich spezialisiert, desto besser und klüger wird eben auch die Konkurrenz. Das war ein Anfängerkurs gewesen. Vielleicht war das der Grund für meine guten Leistungen. Auf jeden Fall hatte ich meine Liebe zur Wirtschaftswissenschaft entdeckt. Ich beschloss, Wirtschaft als Hauptfach zu nehmen.
    Im zweiten Studienjahr wollte ich mein theoretisches Wissen in der Praxis auf die Probe stellen und bewarb mich um einen Praktikumsplatz in der Finanzbranche. Meine Chancen standen denkbar schlecht. Diese begehrten Stellen vergeben Finanzinstitute gewöhnlich an Studenten, die ihr drittes Studienjahr beendet haben, erfahrener sind und ein Jahr später angeworben werden können. Trotzdem gelang es mir, einen Platz zu ergattern, indem ich dreist dreißig oder vierzig Leute bei Banken und Maklerhäusern antelefonierte. («Hallo, mein Name ist Greg Smith, ich studiere im zweiten Jahr in Stanford und würde gern praktische Erfahrungen sammeln, bieten Sie für diesen Sommer Praktikumsplätze an?») Als ich schließlich bei Paine Webber landete, erklärte ich, dass ich bereit sei, für den Mindestlohn zu arbeiten. Damit kam ich durch. Ich arbeitete im Chicagoer Büro in der Abteilung Private Wealth Management für zwei Makler, die ihren eigenen Kundenstamm betreuten. Größtenteils verwalteten sie das Vermögen leitender Mitarbeiter eines großen Haushaltsgerätekonzerns aus dem Mittleren Westen.
    Ich bewunderte meine beiden Chefs sehr. Ihr Ziel war immer die langfristige Ertragssteigerung für ihre Kunden. Sie arbeiteten ruhig und überlegt und versuchten nicht, durch häufiges Umschichten (sogenanntes «Churning») auf Kosten der Anleger Provisionen zu schinden. Sie pflegten engen Kontakte zu ihren Kunden, berieten sie und besuchten sie. Sie kannten sie so gut, dass sie sogar die Namen ihrer Kinder und Enkel wussten. Vor allem aber beherrschten sie ihr Geschäft und wussten alles über ihre Aktien. Es war das althergebrachte Modell nach dem Motto: «Wir kennen uns jetzt seit fünfzehn Jahren – Sie können uns vertrauen.» Gleichzeitig war es das klassische Treuhandmodell, mit den entsprechenden Anreizen: Den Maklern ging es gut, wenn es den Kunden gutging. Sie gaben ihren Kunden die Ratschläge, die sie selbst für gut und richtig hielten.
    Die beiden Makler betrauten mich mit Recherchen, durch die ich lernte, wie man Aktien bewertete und aussichtsreiche Anlagen ermittelte. Sie sagten: «Hier haben Sie zwanzig Aktien. Stellen Sie uns eine Übersicht mit einer einseitigen Empfehlung für jeden Titel zusammen. Wie hoch ist die Marktkapitalisierung? Welche Katalysatoren zeichnen sich ab? Welches Unternehmen spricht Sie an?» Die Arbeit machte mir viel Spaß. Ich saß da in meinem Miami Vice -Haifischanzug, analysierte Aktien und kam mir vor wie Don Johnson. (Obwohl ich mich von dem schulterlangen Pferdeschwanz getrennt hatte, den ich mir im zweiten Studienjahr zugelegt hatte – andernfalls hätte ich die Stelle vermutlich nicht bekommen.) Als der Sommer vorbei war, lobten mich die beiden Makler und wollten mich fürs nächste Jahr wiederhaben. Ich lehnte ab, durchaus mit Bedauern, aber ich wollte meine Angel nach einem größeren Fisch auswerfen.
    Das Auswahlverfahren für eine Stelle, welcher Art auch immer, bei Goldman Sachs war extrem anspruchsvoll. Im Schnitt erhielt nur einer von fünfundvierzig Bewerbern auf ein Praktikum oder eine Stelle ein Angebot. In Stanford musste man sich sogar um ein Vorgespräch bewerben. Goldman Sachs forderte zwar herkömmliche Bewerbungsunterlagen an, erhielt diese jedoch in solchen Mengen, dass viele Bewerbungen einfach untergingen. Es gab aber noch eine andere Möglichkeit. Es war bekannt, dass zwei Gesprächstermine für die ersten Online-Bewerber vorgemerkt waren, die sich innerhalb einer bestimmten Frist anmeldeten. Am betreffenden Tag im Frühling 2000 begab ich mich
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