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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende
Autoren: Kishwar Desai
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herum und sagten, dass noch eine Verrückte zu ihnen gekommen wäre.
    So ging mir dann also auf, das sie mich endlich dorthin gebracht hatten, wo auch Didi festgehalten worden war. Sie gaben mir eine Tablette zu schlucken, aber das habe ich bis jetzt noch nicht gemacht. Ich nehme sie erst, wenn ich diesen Brief beendet habe, damit ich alles mit klarem Kopf notieren kann.
    Ich habe eine der Schwestern um Papier und Bleistift gebeten, damit ich dir schreiben kann. Ich weiß, dass du mich besuchen kommen wirst. Ich weiß, dass du mich nicht vergessen oder mir wehtun wirst. Die Schwester hat mir versprochen, das hier für mich in die Post zu geben, aber wer weiß, ob sie das auch wirklich tun wird – da ich doch jetzt offiziell für geisteskrank erklärt worden bin.
    Komisch, wie leicht man in Gewohnheiten verfällt. Du bist jemand, den ich vor zwei Wochen überhaupt noch nicht gekannt habe, und jetzt denke ich jeden Tag an dich, rede in Gedanken mit dir, schreibe dir die ganze Zeit diese Briefe. Eines Tages, falls du mich je hier findest, werde ich dir vielleicht alles erzählen. Wirklich alles.
    Ramnath werfe ich eigentlich nichts vor, weißt du? Ramnath war ein getreuer Handlanger meiner Eltern, er hat nur ihre Anweisungen befolgt, sogar noch nach ihrem Tod. Irgendwie war ich auf all dies vorbereitet, denn ich ahnte, dass die Ereignisse in jener Nacht mich auf die eine oder andere Weise einholen würden. Wie könnten sie mich denn auch so leicht entkommen lassen, jene Geister der Vergangenheit, die ja schon vom Augenblick meiner Geburt an nur meinen Tod im Sinn hatten? In diesen letzten drei Monaten, in denen ich endlich befreit von ihnen bin, für eine kurze Weile wenigstens, habe ich mich oft gefragt, wie das Leben wohl gewesen wäre, wenn ich erwünscht, geliebt und umsorgt gewesen wäre. Wenn ich nicht eine Mutter gehabt hätte, die mich hasste, weil ich ein Mädchen war.
    Das war eine Fantasievorstellung, in die Didi und ich uns manchmal flüchteten, wenn wir unsere geheimen Spiele spielten. Dann war sie sowohl meine Mutter wie auch meine Geliebte, denn wir hatten ja sonst niemanden, der verstand, was Liebe bedeutete.
    Also bin ich jetzt vorbereitet. Ich bin vorbereitet auf die Schläge und die Elektroschocks und die Folter, und ich bin vorbereitet darauf, meinen Verstand zu verlieren und so zu werden wie Didi. Ich möchte, dass du weißt, dass ich keine Angst davor habe. Dass ich mich eher darauf freue.
    Maye ni maye, main ik shikra yaar banaya … weißt du noch?
    Mein Wahnsinn wird Ramnath bei seinem letzten Versuch helfen, sich zu holen, was er uns so lange geneidet hatte. Das Haus der Geister, endlich ohne all seine störenden Bewohner. Wie lange muss jemand geduldig seine Pläne schmieden, bevor das Begehren seines Herzens für ihn in greifbare Nähe rückt? Mir war klar, wie schlau er dabei vorgegangen ist, aber ich werde wohl nie das wahre Ausmaß meiner eigenen Dummheit begreifen. Und doch … ehrlich gesagt, macht es mich sonderbar glücklich, ja, es erleichtert mich geradezu, dass ich nun untergehe, in der Finsternis versinke. Es wird gut sein, endlich für immer in die andere Welt zu entkommen, wo ich nichts mehr von dieser furchtbaren Nacht und von dem schrecklichen Leben, das ihr voranging, erinnern werde.
    Nachdem ich so lange mit diesen scheußlichen Erinnerungen habe leben müssen, wird es wundervoll sein, endlich die Kontrolle über diesen wachen, logisch denkenden Verstand zu verlieren, der überlegt und plant und sich Sorgen macht, immerzu denkt denkt denkt …
    Nun gut. Ich habe es Didi und Binny und ihm versprochen. Ich habe geschworen, dass ich mich still verhalten und sie alles in die Hand nehmen lassen würde, solange Didi und ich nur zusammenbleiben könnten. Hier drin steht es mir endlich frei, alles auszusprechen. Aber selbst wenn ich jetzt jemandem etwas erzähle – wer wird mir hier schon glauben? Und spielt das überhaupt eine Rolle, denn ich war sowieso nicht dafür vorgesehen, auf der Welt zu sein.
    Didi und mich eint ein gemeinsames Schicksal. Wir sind bei unserer Geburt vom Tod verschont geblieben, um dann zu einem Leben in der Hölle gezwungen zu werden. Meine einzige Hoffnung ist jetzt, dass Ramnath sein Versprechen hält und dass man mich endlich zusammen mit meiner Schwester einsperrt und wir wenigstens in unserem Wahnsinn wieder vereint sein können. Meine Schwester,
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