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Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Christopher W. Gortner
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eines höheren Standes war und die Anrede » Dame Alice« angemessen gewesen wäre.
    Danach rasierte ich mich mithilfe der Seife, meines Messers und eines Spiegelfragments aus meiner Satteltasche. Auch wenn das Glas zerbrochen und darin nicht viel von mir zu erkennen war, jagte mir das, was ich beim Abwaschen von Barthaaren und Schaum erspähte, einen Schreck ein.
    Das Gesicht, das mir entgegenblickte, war von Blutergüssen übersät, bleich und viel kantiger, als ich es in Erinnerung hatte. In seine kindlichen Züge hatte sich unversehens eine hart erarbeitete Reife gemischt. Es war das Gesicht eines noch nicht ganz Einundzwanzigjährigen, das Gesicht, mit dem ich seit meiner Geburt gelebt hatte – und dennoch gehörte es einem Unbekannten. Doch mit der Zeit würde ich diesen Fremden, zu dem ich geworden war, schon noch kennenlernen. Ich würde mich zu seinem Herrn aufschwingen. Ich würde alles lernen, was ich benötigte, um in dieser neuen Welt zu überleben und mich in ihr zu behaupten.
    Und ich würde nicht ruhen, bis ich Master Shelton gefunden hatte.
    Denn er wusste weit mehr über mich, als er mir je verraten hatte – dessen war ich mir sicher. Er hatte dem verstorbenen Charles Brandon, Herzog von Suffolk, gedient und den Tod von dessen Frau, meiner Mutter, betrauert. Hatte er auch gewusst, dass das Goldblatt, das er Mary Tudor überbracht hatte, zu demselben Schmuckstück gehörte, dessen anderen Teil es, zusammen mit Mistress Alice ’ wichtigsten Besitztümern, in ein Versteck verschlagen hatte? Und wenn es sich so verhielt, wusste er dann auch, dass es Mistress Alice anvertraut worden war, und aus welchem Grund? Ich hatte so viele Fragen, die nur er beantworten konnte.
    Ich wandte mich wieder praktischen Dingen zu und zog mich an. Die Kleider passten mir erstaunlich gut.
    Wenig später durchquerte ich den Saal mit seiner beeindruckenden, von Holzbalken gestützten Decke und den flämischen Wandteppichen und trat durch die offene Eichentür in einen milden Sommerabend hinaus, der sich einem samtenen Regen gleich über Heckenkirschen und Weiden legte.
    Kate stand, den Kopf von einem Strohhut bedeckt, bis zu den Knöcheln in einem Kräuterbeet und band frisch gepflückte Thymianzweige zu Bündeln zusammen, die sie in einen Korb legte. Als sie meine Schritte hörte, sah sie auf. Dabei verrutschte ihr Hut, blieb jedoch auf ihrem Rücken an einem Band hängen. Bevor sie ihn wieder aufsetzen konnte, schloss ich sie in die Arme und ließ meinen ausgehungerten Sinnen freien Lauf.
    »Ich nehme an, dass du gut geschlafen hast?«, flüsterte sie schließlich an meinen Lippen.
    Ich ließ die Hände über ihre Taille gleiten. »Noch besser hätte ich geschlafen, wenn du bei mir gewesen wärst.«
    Sie lachte. »Noch ein bisschen besser, und du hättest ein Leichentuch gebraucht.« Ihre Stimme wurde rauchig. »Denk bloß nicht daran, mich zu verführen. Ich habe nicht vor, irgendeinem streunenden Kater nachzugeben, der plötzlich beschließt, zu Hause vorbeizuschauen.«
    »Doch, das hast du vor, und das ist gut so«, raunte ich. Wir küssten uns erneut, bis sie mich zu einer Bank bugsierte. Einander an den Händen haltend, blickten wir in den sich verdunkelnden Himmel.
    Unvermittelt sagte Kate: »Ich habe das hier für dich.« Aus ihrer Rocktasche zog sie das Goldblatt – und zu meiner Überraschung Robert Dudleys Silberring mit dem Onyx.
    »Den hatte ich ganz vergessen«, murmelte ich und streifte ihn mir über den Finger. Er war zu groß.
    »Weißt du, was passiert ist?«, fragte Kate.
    »Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass die Armee des Herzogs desertiert ist, als er zum Marsch auf Framlingham blies.«
    Sie nickte. »Nur hat er es nicht mehr erreicht. Die Nachricht ist heute eingetroffen. Kaum hatte der Kronrat Mary zur Königin ausgerufen, haben sich Arundel und all die anderen ihr zu Füßen geworfen und um Gnade gewinselt. Danach ist Arundel losgezogen, um Northumberland, Lord Robert und seine anderen Söhne zu verhaften. Sie werden jetzt in den Tower geschafft, wo Guilford bereits eingekerkert ist.« Sie zögerte. »Es heißt, dass Mary ihre Hinrichtung anordnen wird.«
    Meine Finger schlossen sich um den Ring. »Wer könnte es ihr verdenken?«, sagte ich leise, während meine Erinnerung weit in die Vergangenheit zurückflog, als ein verwirrter Junge sich aus Furcht, entdeckt zu werden, in einer Dachkammer am Boden zusammenkauerte und eine Horde von Söhnen beneidete, die ihn nie als einen der Ihren
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