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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition)
Autoren: Tereza Vanek
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aus weißem Leinen, das mit Stickerei und Glassteinen verziert war,
schritt Libussa zum Schrein der großen Sonnengöttin Mokosch, wo man bereits
Schalen mit Obst sowie geschlachtete Tiere neben der hölzernen Statue als Opfer
dargebracht hatte. Sie spürte die Blicke der Anwesenden auf ihrem Rücken,
während sie der Tradition entsprechend Mutter und Schwestern umarmte, Treue zum
Clan und Einhaltung der alten Sitten bis zu ihrem Tode schwor. Anschließend
ertönte der Gesang der Schamanen, junger Männer aus dem Volk, die aufgrund
ihrer besonderen Verbundenheit mit dem Reich der Götter und Geister von der
Hohen Priesterin für diese Ausbildung ausgewählt worden waren. Fürstin Scharka
überreichte ihrer jüngsten Tochter die Kopfbedeckung erwachsener Frauen. Ihre
Kindsmagd Kveta hatte sie aus rotem Tuch angefertigt und mit aufwändiger
Stickerei verziert. Eine dünne Kette aus Silber wurde ihr dazu um die Stirn
gebunden und am Hinterkopf befestigt. An dieser Kette hingen sechs Ringe.
Libussa sollte jeweils drei davon an ihren Schläfen tragen, was sie als
ungebundene, erwachsene Frau kenntlich machte.
    Die Ringe wären
nicht nötig gewesen. Der Stamm der Tschechen war der angesehenste in der
Gegend, und sein fürstlicher Clan rühmte sich der Verwandtschaft mit dem großen
Samo, der die Behaimen einst vom Joch der Awaren befreit hatte. Nicht umsonst
waren die fürstlichen Clans aller benachbarten Stämme zum anschließenden Fest
im großen Saal von Chrasten erschienen, um Libussa als erwachsene Frau zu
begrüßen. Bisher hatten deren Söhne um Thetka geworben, denn Kazi hatte sich
mittlerweile den Ruf zugelegt, unnahbar und außerdem eine Zauberin zu sein.
Jetzt sollte es neben der launischen, schwierigen Thetka, die sich viele
Liebhaber wählte, ohne bei einem bleiben zu wollen, noch eine weitere mögliche
Gefährtin geben.
    Libussa ließ
sich zwischen ihrer Mutter und Onkel Krok vor den versammelten Gästen nieder.
Einen Augenblick genoss sie es sogar, im Mittelpunkt zu stehen. Slavonik, der
gemeinsam mit seiner Mutter und seiner heranwachsenden Schwester Sylva neben
Krok Platz gefunden hatte, sah zunächst finster in ihre Richtung. Sie wich
seinem Blick aus, konnte aber nicht übersehen, dass er sich wie üblich
herausgeputzt hatte. Der Gürtel, an dem Schwert und Kampfaxt hingen, war mit
einer silbernen Schnalle besetzt, die den Kopf eines Drachen darstellte.
Glassteine blitzten als Augen des Ungeheuers. Slavonik hatte von den Kelten die
Angewohnheit übernommen, sein Haar blau zu färben. Durch Tierfett in Form
gehalten wand es sich auf seinem Kopf wie eine Schlange. Mit seiner Eitelkeit
stellte der Kroaten-Sohn fast jede Frau in den Schatten. Ermutigt durch
Libussas Aufmerksamkeit hob er nun den Weinbecher und lächelte sie an.
    „Hat dir das
Kupala-Fest gefallen, Libussa? Du warst irgendwann verschwunden“, meinte er,
nun ganz ohne Ärger in seiner Stimme. Offenbar wollte er einen neuen Versuch
wagen, sie für sich zu gewinnen. Der spöttische Unterton seiner Worte gefiel
Libussa nicht, aber sie wusste, dass ihre Mutter es ungehörig fände, wenn sie
zu dem Kroaten-Sohn allzu abweisend wäre.
    „Wir haben uns
eben aus den Augen verloren“, erwiderte sie ausweichend. Slavoniks Lächeln
kündigte eine bissige Bemerkung an, und zunächst war Libussa erleichtert, als
Thetka sich ihnen zuwandte.
    „Libussa hat
sich einfach mit einem Unbekannten aus dem Lande Rus davongeschlichen“,
erklärte ihre Schwester und betrachtete dabei zufrieden den Unmut auf Slavoniks
Gesicht. Dann hob sie ihren Weinbecher, um mit ihm anzustoßen. Libussa nutzte
die Gelegenheit, sich umzusehen, ob sie nicht mit jemand anderem ein Gespräch
beginnen könnte.
    Weiter hinten
an der Tafel saßen die Mitglieder des fürstlichen Clans der Doudlebi, die
derzeit keinen ungebundenen Sohn hatten und tatsächlich nur aus Respekt
gegenüber Libussas Familie gekommen waren, außerdem noch die Lukaner neben den
Leitmeritzern, die sich seit Generationen wegen Nichtigkeiten bekämpften, aber
bei diesem Anlass friedlich miteinander feierten. Radka, die älteste Tochter
der Lukaner-Fürstin, lächelte Libussa zu, als sich ihre Blicke trafen, und kam
herbei.
    „Macht ein
bisschen Platz. Ich möchte mit der soeben zur Frau gewordenen Schönheit
plaudern. Ihr Männer müsst bis zum nächsten Kupala-Fest warten, denn sie
scheint mir gerade nicht auf eure Gesellschaft erpicht.“ Der großen, kräftigen
Radka fiel es niemals schwer, ihre Wünsche
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