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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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lackiertem Holz und Leder bestellt, verziert mit Metallbändern, die mit Gold und Perlmutter aufgeputzt waren.
    Stumm und hoch aufgerichtet sah die Witwe zu, wie die Tür des Leichenwagens geöffnet, der Sarg mit feierlicher Sorgfalt hineingeschoben und die Tür wieder verschlossen wurde. In schweigender Ehrfurcht von den Umstehenden beobachtet, setzte der Zug sich in Bewegung. Langsam schritten die Pferde der beiden Laternenträger voran, feierlich folgten ihnen die Kirchenmänner mit ihren schneeweißen Halskrausen und bodenlangen Talaren. Da Simeon der reformierten Kirche angehört hatte, trat jedenfalls die Geistlichkeit sehr bescheiden auf, wie es dem kargen Wesen der Kalvinisten entsprach. Dann folgten, alle in prunkvollen Livreen, der Zeremonienleiter und seine Assistenten, dann der Oberstallmeister, der die Aufsicht über das gesamte Sechsergespann hatte, und die vermummten Pferde, geführt von den in spanische Gala gekleideten Stallknechten. Schweren Schrittes, mit geradezu unerträglicher Langsamkeit zogen sie den Leichenwagen, wobei die Straußenfederstöße auf ihrem Kopfschmuck träge nickten. Weitere Laternenträger folgten und hinter ihnen in aufwendig gezierten Kutschen die Trauergäste. In dem bleichen Nebel, der die Umrisse der Häuser, Kandelaber und Fahrzeuge ins Unbestimmte verzerrte, machte sich eine Prozession von Gespenstern auf die Reise ins Nichts.
    Anna Lisa war froh, dass das Protokoll einen dichten Schleier gebot, so konnte ihr niemand ins Gesicht schauen und in ihren Zügen zu lesen versuchen. Sie fühlte sich zutiefst bedrückt angesichts dieses makabren Prunks, ihr schien, als sei der gesamte Zug feierlich aus dem Hades heraufgestiegen und würde ebenso feierlich in die ewige Tiefe hinabsinken. Dann wieder dachte sie an Herrn Raharjos Flammengrab und sagte sich, dass alle Dinge im Leben ihre Rituale brauchen, Anfang, Übergang und Abschied gleichermaßen, wenn alles seinen geregelten Gang gehen sollte. Sie war in dieser Sache ganz einer Meinung mit Pahti, der ihr erklärt hatte: Die Toten fanden keine Ruhe, wenn man sie nicht mit dem gebührenden Zeremoniell aus dem Leben hinausführte, sie klammerten sich in den Herzen der Hinterbliebenen fest und raubten ihnen mit ihrer quälenden Anwesenheit den Schlaf.
    Anna Lisa war froh, dass sie den Weg in einem geschlossenen Wagen zurücklegen konnte, so unangenehm war die feuchte Kühle, die bis in die Kleider zog. Es schien endlos zu dauern, bis der Zug den neuen, erst 1877 angelegten Ohlsdorfer Friedhof erreichte. Eine Ulmenallee nahm den Trauerkondukt auf. Die Hufe der Pferde klopften weich auf einem Teppich dürrer und modernder Blätter. Rund um sie erstreckte sich das Labyrinth der Gräber und Mausoleen.
    Auf dem Vorplatz einer halbkreisförmigen Anlage von Familiengrüften hielten die Kutschen an, die Trauergäste stiegen aus und machten sich zu Fuß auf den Weg zum Familiengrab der Lobrechts. Da die Familie Vanderheyden bis auf einige sehr entfernte Verwandte ausgestorben war, hatte Elmer Lobrecht verfügt, dass der Schwiegersohn in seiner Gruft die ewige Ruhe finden sollte.
    Der Sarg wurde aus dem Wagen gehoben und von den sechs Männern auf den Schultern eine Eibenallee entlanggetragen. Man sah jetzt deutlich, dass der Verstorbene zeitlebens von leidenschaftlichen Blumen- und Pflanzenfreunden umgeben gewesen war. Noch nie hatte man so viele außergewöhnlich schöne, kunstvoll gebundene Kränze und Blumenbouquets gesehen. Neben den üblichen Astern, Chrysanthemen, Palmwedeln und Lilien waren vom Botanischen Garten und anderen Gärtnereien Gebinde aus seltenen, ja, kostbaren Blumen gespendet worden. Kein Wunder, dachte Anna Lisa. Simeon war nicht nur zu Lebzeiten ein großzügiger Förderer aller gewesen, die seine Interessen teilten, er hatte auch kein Hehl daraus gemacht, dass er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens diesen Forschern und Gärtnern hinterlassen würde. Sie musste plötzlich daran denken, wie er seinerzeit von ihrem knappen Reisegeld einen Tiegel mit Mumia gekauft hatte und wie er vor Herrn Raharjo geprahlt hatte mit seiner Schilderung des botanischen Zauberbuchs, das einst Kaiser Rudolf II. gehört hatte. Es waren liebe Erinnerungen, und sie lächelte im Schutz des Witwenschleiers.
    Die Gruft wurde aufgeschlossen, der Sarg noch einmal abgestellt, damit der Pfarrer seine kurze Leichenpredigt davor halten konnte. Er war ein häufiger Gast im Hause gewesen, zum einen, weil er Blumen liebte, und zum anderen, weil
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