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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition)
Autoren: Anke Napp
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Geschichte unserer Verfolgung zu schreiben. Sollte Gott es zulassen, dass der Orden des Tempels nicht überlebt, dann wird man vielleicht wenigstens aus dieser Schrift die Wahrheit erfahren.“
    „Ja, da habt Ihr recht. Wir werden Euch gern dabei helfen! Zwei von uns hier arbeiten als Notariatsschreiber. Sie haben Zugang zu Pergament und könnten Euch in ihrer freien Zeit einige Berichte abfassen!“
    „Dann habt Ihr genug zum Leben?“
    „Ja, es geht so. Ich verdinge mich auf Baustellen, wenn gerade ein Ingenieur gesucht wird. Aber wir müssen noch immer sehr vorsichtig sein. Die meisten Leute mögen nicht mehr an eine Schuld des Templerordens glauben; manche brüsten sich insgeheim, wie gern sie den Brüdern geholfen hätten. Doch wenn es darauf ankommt...“ Ranulf seufzte. „Vor etwa einem halben Jahr stieß ein Rekonziliarisierter zu uns. Isnard... Isnard de Montreal nannte er sich. Er sagte, er habe mit Sire Jocelin zusammen den Orden vor der Großen Kommission verteidigt.“
    „Ich erinnere mich an ihn.“
    „Ich habe ihn weiter nach Spanien geschickt, auf sicheres Terrain.“
    Einer der Pariser Brüder hatte ein kleines Brot gebracht und Käse. Während er den Besuchern etwas davon abschnitt, berichtete Ranulf weiter.
    „Wir versuchen, den Kontakt zu den Brüdern aufrechtzuerhalten, die noch in der Stadt gefangen sind. An die zwanzig hat die Kommission des Bischofs von Paris zu lebenslänglichem Kerker verurteilt.“
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    Der Morgen graute. Yvo lehnte sich an die unverputzte Lehmwand der kleinen Kammer, in die er und Bruder Jean sich zur Ruhe zurückgezogen hatten. Ruhe - die fand der junge Mann nicht.
    „Ich hätte Philipp damals umbringen sollen... verdammt!“ murmelte er, mit seinem Dolch zornige Muster in den Lehm stochernd. „Ich hatte es in der Hand, ich hätte nur...“
    Seit Stunden raubte ihm dieser Gedanke den Schlaf. Noch immer war das Pfeifen der Ratten unten von der Strasse zu hören, und das Kreischen der sie verfolgenden Katzen. Durch den halb geöffneten Fensterverschlag sah er bereits den Morgen heraufziehen.
    „Nein, was hätte uns das gebracht?“ erwiderte Jean de Saint-Florent und drehte sich in seine Richtung. „Denkt an Sire Jocelins Worte: Das Blut wird an IHREN Händen sein! An den Händen unserer Henker, nicht an unseren, am Tage des Gerichts. Ihr habt getan, was nötig war und das Leben Jocelins und Eurer Mutter gerettet.“
    Yvo antwortete nichts. Er hob den Blick wieder zu dem heller werdenden Stück Himmel jenseits ihres ärmlichen Quartiers. „Messire?“
    „Ja?“
    „Werdet Ihr mich in den Orden aufnehmen?“ fragte er dann.
    Der Angesprochene setzte sich auf. „Wollt Ihr das noch, nach allem, wovon Ihr Gestern Zeuge wart?“
    „Ich will“, erwiderte Yvo, „mehr denn je!“
    „Ihr werdet ausgestoßen sein und von der Welt verachtet.
    Ihr werdet verfolgt sein bis in den Tod. Ihr werdet gekreuzigt sein jeden Tag Eures Lebens... Seid Ihr entschlossen, dies alles zu erleiden?“
    „So Gott will!“ Yvo blickte ihm fest ins Gesicht. Alles Jungenhafte war plötzlich aus seiner Mimik verschwunden.
    Jean de Saint-Florent war sich noch immer nicht völlig sicher, ob es richtig war, seinem Wunsch nachzugeben. Andererseits... war Yvo die vergangenen zwei Jahre treu in ihrer Mitte geblieben. Und gestern hatten sie zwei Brüder verloren – wie viele würden noch folgen in nächster Zeit, im Kerker und auf den Scheiterhaufen? Vielleicht war es Gottes Wille, dass sie wenigstens diesen einen neuen Bruder gewannen...
    Er streckte die Hand aus und legte sie auf Yvos Arm.
    „Gut. Wenn wir zurück sind in Spanien!“ versprach er. „Nicht hier, auf diesem verfluchten Land!“

Epilog

November 1318 – Portugal
     
    Jocelin blickte aus dem schmalen Fenster des Turmes hinunter auf die Furt, zu deren Bewachung dieses Grenzkastell vor einem knappen Jahrhundert erbaut worden war. Die Berghänge lagen im abendlichen Nebel, und ein Turmfalkenpaar schwebte über die schroffen Felszinken seinem abendlichen Ruheplatz zu.
    In den Sommermonaten herrschte hier reges Begängnis. Doch jetzt im Winter kamen kaum mehr Reiter oder Fuhrwerke; zu schlecht war das Wetter und der Fluss unberechenbar, sobald der erste Schnee weiter oben in den Bergen fiel. Nur Schmuggler und einiges andere Gesindel gedachten dann die Gunst der Stunde zu nutzen. Oder Vertriebene, die keine Rücksicht auf die Witterung nehmen durften, um ihr Leben zu retten.
    Ein paar mal waren ganz besondere Flüchtlinge hier
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