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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition)
Autoren: Anke Napp
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er Charny. „Und jetzt raus hier!“
    Der Weg aus dem Verlies hinauf in den Hof des Louvre war nicht weit. Aber den Gefangenen bedeutete jeder Schritt Anstrengung und Schmerz, und nur mühsam schleppten sie sich vorwärts. Geblendet von der ungewohnten Helligkeit wurden sie einen Wagen hoch gezerrt.
    „Bringt man uns... vor den Papst?“ keuchte Hugo de Pairaud. Die Hoffnung auf den Heiligen Vater war das einzige, was ihn die letzten Wochen noch am Leben gehalten hatte.
    Er erhielt keine Antwort. Rumpelnd setzte sich der Wagen in Bewegung. „Papst Clemens!“ dachte Molay bitter. „Warum sollte er uns jetzt anhören, jetzt, nachdem wir sieben Jahre um dieses Gehör gebeten haben?“
    Der Wagen ratterte über die Seinebrücke zur Ile de la Cité. Nein, vor den Papst schaffte man sie gewiss nicht! Er raffte sein fadenscheiniges Gewand über der Brust zusammen, im vergeblichen Versuch, etwas Wärme zu finden.
    Philipp de Marigny, Erzbischof von Sens, sah mit geteilten Gefühlen auf die Menge, die sich zu beiden Seiten des Platzes vor Notre Dame eingefunden hatte. Eine stille Urteilsverkündung unter Ausschluss der Öffentlichkeit wäre ihm lieber gewesen. Aber Seine Majestät hatte ein großes Schauspiel gewünscht. Aller Welt sollte noch einmal vor Augen geführt werden, wie berechtigt die Aufhebung des Templerordens vor zwei Jahren gewesen war. Denn zahllose Stimmen sprachen noch immer von einem Verbrechen, noch immer verehrten manche die Ermordeten von Sens als Märtyrer. Und noch immer hielten sich hartnäckige Gerüchte, der Orden sei nicht wirklich vernichtet, hier und da gäbe es noch Grüppchen, ehemalige Templer, die sich mit geheimen Zeichen untereinander verständigten und auf Rache sannen, die wie die Dämonen im Dunkel lauerten…
    Unruhig rückte Philipp de Marigny mit der behandschuhten Rechten an seinem großen goldenen Pektorale. Eigentlich war vom Papst Gregor von Rouen das Amt übertragen worden, über die vier obersten Würdenträger des aufgelösten Ordens zu richten. Aber als sich der Erzbischof in ein Kloster zurückgezogen hatte, nötigte Seine Majestät dem Heiligen Vater die Ernennung Marignys ab.
    Die Söldner erschienen mit den Gefangenen.
    „Seht ihn euch an, den stolzen Orden vom heiligen Tempel!“ hörte Erzbischof Philipp einen seiner Gardisten flüstern, und erleichtert lehnte er sich in den gepolsterten Thron zurück. „Ich hatte Angst vor einem Hirngespinst!“ sagte er zu sich selbst. Diese vier zitternden, zerlumpten, schon halbtoten Greise, wie könnten sie noch eine Gefahr darstellen? Wahrscheinlich waren sie zu taub, um überhaupt das Urteil zu verstehen! Der Gedanke brachte Philipp de Marigny zum Lächeln. Wie schade, dass der gute Nogaret das nicht mehr erlebte! Vor einem Jahr war er gestorben, nach dem Verzehr eines wohl schon leicht verdorbenen Fischgerichts… Was für ein bedauerlicher Unfall war das doch gewesen… Und das auch noch, bevor Nogaret endlich seine Exkommunikation loswerden konnte…
    Die Eskorte hatte vor der Tribüne haltgemacht. Hugo de Pairaud krümmte sich hustend zusammen und presste einen Lumpen gegen den Mund. Nachdem er gesehen hatte, dass nicht der Papst auf sie wartete, verließ ihn seine letzte Kraft.
    Mit einigen salbungsvollen Worten wandte sich der Erzbischof von Sens an die Menge. Im gleichen sanften Tonfall fuhr er dann mit der Verlesung der päpstlichen Verordnungen und der Geständnisse der vier Würdenträger fort.
    Godefrois de Charny starrte verzweifelt zu Boden.
    Weshalb mussten sie diese widerlichen Lügen noch einmal hören? Glücklich war der ehemalige Großkomtur des Poitou zu preisen, der nichts von alldem mehr wahrzunehmen schien!
    „...hat bekannt... hat bekannt...“ Wieder und wieder! Ihre Widerrufe waren nie auf das Protokollpergament gelangt!
    „...und in Anbetracht der Abscheulichkeit dieser Verbrechen, der Schwere dieser Sünden, verurteilen Wir, Philipp, durch die Gnade Gottes Erzbischof von Sens, die oben genannten Brüder Jacques de Molay, Godefrois de Charny, Godefrois de Gonneville und Hugo de Pairaud zu lebenslänglicher Kerkerhaft. Im Namen -“
    Der Schrei Jacques de Molays bereitete den Worten des Erzbischofs ein Ende.
    Mit der Gewalt eines Blitzschlages hatte den Meister der Urteilsspruch getroffen. Alle Hoffnungen, die er bis dahin noch gehegt hatte, verglühten in einem Augenblick. Nichts blieb mehr zu erwarten!
    „Es waren Lügen!“ rief er, sich dessen bewusst werdend. „Nichts von diesen Verbrechen
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