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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition)
Autoren: Anke Napp
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schrie. Ihre Stimme hallte ihm wie splitterndes Glas in den Ohren.
    Und dann... ein kaum hörbares Klacken. Eine Armbrust! Jocelin rollte sich zur Seite, entging den schlagenden Hufen und sah aus dem Augenwinkel einen weiteren Reiter. Seine kleine Statur machte ihn deutlich erkennbar, noch ehe er ein Wort gesprochen hatte. Yvo!
    „Lasst sie gehen, oder ich töte Euch!“ schrie der Junge jetzt.
    Philipp erkannte seinen ehemaligen Schildträger, ebenso wie er die Entschlossenheit in seiner Stimme als einen Widerschein der eigenen wahrnahm. Nein, das waren keine leeren Worte! Der junge Montfort würde ihn umbringen, ohne Zweifel! Der König ließ sein Schwert sinken und drängte sein Pferd einige Schritt rückwärts, Yvo mit tödlichem Hass fixierend. Doch der Junge hielt die Armbrust schussbereit, während Jocelin und Ghislaine sich in den Sattel des Pferdes zogen. Schon schimmerten die Helme und Panzerungen der königlichen Begleiter durch die Bäume; es fehlte nicht mehr viel, und sie würden die Flüchtlinge eingekreist haben...
    Einen raschen, verzweifelten, ungläubigen Blick warf Ghislaine noch ihrem Sohn zu, während sie sich an den Hals von Jocelins Reittier klammerte. Dann schlug das Dickicht hinter ihnen zusammen, legte sich wie eine Mauer zwischen sie und die Verfolger. Gedämpft vernahm sie das Wiehern eines Pferdes und menschliche Schreie.  
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Frühjahr 1314 – Frankreich
     
    Der junge Mann mit dem noch spärlichen Bart richtete sich im Sattel auf und musterte bewundernd die wehrhafte Anlage, die sich vor ihm erstreckte.
    „Das war also Jocelins Komturei…“
    „Ja“, brummte Jean de Saint-Florent lediglich. Ihn schmerzte der Anblick der roten Standarte mit dem weißen Kreuz über den Zinnen von Provins – der Standarte der Hospitaliter. An vielen alt vertrauten Plätzen hatten sie sie auf ihrem Weg bereits gesehen, das Zeichen, dass die frühere Heimat nicht mehr die ihre war und Fremde dort lebten, beteten und arbeiteten. Den Hospitalitern hatte Papst Clemens die Güter des aufgelösten Templerordens übertragen.
    Natürlich war diese Entscheidung auf den Widerstand des Königs gestoßen. Er bestand auf einer Erstattung der Kosten des Prozesses sowie des Unterhaltes der Gefangenen. Monatelang hatte er an der Kurie gegen die Hospitaliter geklagt, bis diese sich bereiterklärten, ihm eine Million Livres zu zahlen. Eine Million! Jean schüttelte den Kopf, als er daran dachte. Dafür, dass seine Brüder in den Kerkern langsam verrotteten, eine Million Livres!
    „Kommt, Yvo!“ rief er und lenkte sein Pferd zurück auf den Weg.
    Seit vier Wochen waren sie unterwegs in die Normandie. Zu Erzbischof Gregor von Rouen einerseits, der seinem Neffen ein nicht unerhebliches Vermögen übereignen wollte, was er damals an der Einziehung der Montfortschen Güter vorbei gerettet hatte. Andererseits zu einer kleinen Gruppe ehemaliger Ordensbrüder, die sich unter Lebensgefahr im Pariser Umland um Versprengte kümmerte. Denn immer wieder tauchten umherirrende Rekonziliarisierte auf. Die Provinzialkommissionen hatten zahllose Templer, die sich geständig und reumütig gezeigt hatten, in Klöster eingewiesen. Für die niedrigsten Dienste missbraucht und von allen verachtet entschlossen sich nicht wenige zur Flucht. Andere wiederum hatten keine Familie mehr, die sie unterstützen konnte und vagabundierten durch die Lande.
    Wie Donnergrollen klangen die Schritte durch das Gewölbe des Verlieses, immer näher. Meister Jacques de Molay erhob sich gefasst. Sie kamen also. Er erwartete diesen Augenblick, seit König Philipp ihn und seine Leidensgefährten aus Corbeil in den Louvre gebracht hatte. Es war ihnen gesagt worden, eine Kommission untersuche ihren Fall. Bisher hatte niemand sie verhört. Die Riegel der Kerkertür wurden zurückgerissen. Einen eigentümlichen singenden Ton gab das Eisen von sich, als sie auf den Anschlag prallten. Dann wurde die Tür aufgetreten.
    „Mitkommen! Los!“ schnauzte ein königlicher Söldner.
    „Bei Gott, könnt ihr uns nicht endlich in Ruhe lassen?!“ brach es verzweifelt aus Godefrois de Charny hervor. Er kniete am Boden neben Hugo de Pairaud, der nach Atem rang. „Seht ihr nicht, dass er im Sterben liegt?“
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stieß der Söldner Meister Jacques durch die Tür und packte Hugo de Pairaud. Ein neuer Hustenanfall schüttelte den ehemaligen Visitator. Blut quoll aus seinem Mund. Erschrocken ließ der Söldner ihn los.
    „Trag ihn!“ befahl
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