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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Autoren: Jocelyne Godard
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Königin Anne für sich beansprucht hatte, mit großer Hingabe umgestaltet und bis ins kleinste Detail neu eingerichtet. Der wenig komfortable Flügel, den sie nun verlassen hatte, wurde dem fröhlichen Gefolge von François überlassen, den jungen Herren de Chabot, Montmorency und La Marck, die ganz begeistert von dieser Lösung waren, weil sie dort auch ihre eigenen Dienstboten unterbringen konnten.
    Alles stand unter einem guten Vorzeichen, und während der Hof von Blois luxuriöses Gepränge entfaltete, lebte man am Hof von Amboise sehr komfortabel. Louises Glück wurde eigentlich nur durch Marschall de Gié getrübt, der die Bewachung des jungen Duc de Valois durch seine Hellebardiere noch steigerte und ihn so seiner Mutter und seiner Schwester entfremdete.
    Während sich also in Amboise alles ganz im Sinne der Comtesse d’Angoulême entwickelte, versuchte man auf Schloss Blois, Königin Anne mit zahllosen Festivitäten aufzuheitern.
    Der Flügel, in dem sie sich eingerichtet hatte, war gerade erst renoviert worden. Der großzügige und helle Logis Royal ging auf den Innenhof hinaus, wo ständig geschäftiges Treiben herrschte, weil immer irgendwelche Schildknappen, Boten, Edelleute oder Gesandte vorbeikamen. Es verging kaum eine Stunde, in der die Stallknechte nicht Pferde vor abfahrende Kutschen spannten oder Sänften mit Gästen eintrafen, die Königin Anne immer voller Ungeduld erwartete.
    Ihre an die hundert Hofdamen zählten längst nicht mehr die vielen Reisen, bei denen sie auf der Loire von einem Schloss zum anderen fuhren, auch wenn sie nur wenige Meilen auseinanderlagen.
    Zwischen Nantes und Orléans herrschte dichter Verkehr auf dem Fluss. Barken brachten Salz aus der Bretagne, Weine aus der Touraine oder Getreide aus der Beauce. Holz und anderes Baumaterial stapelte sich auf großen Lastkähnen; Fischkutter und Segelboote, die den Westwind nutzten, oder Treidelschiffe, die gezogen wurden, kreuzten sich, fuhren hintereinander her oder überholten sich. Wie an allen anderen Flüssen auch gab es an der Loire zahlreiche Zollstellen, an denen die Schiffer Gebühren für Durchfahrtserlaubnis und Ladung zahlen mussten.
    Während Prinzessin Claude auf Château de Blois kränkelnd ihr
drittes Lebensjahr begann, lebten die Kinder der Familie Angoulême in Amboise sorglos in den Tag hinein.
    Auch wenn Louise spürte, dass der Marschall immer größeren Einfluss auf François gewann, gewöhnte sie sich allmählich an den Gedanken, dass ihr Sohn sich ihr eines Tages unweigerlich entziehen musste. Obwohl alle Eingänge zum Schloss streng überwacht wurden, Bogenschützen an den Toren postiert waren und jeder Schritt von Wachen gestört wurde, die ihre Waffen stets in Reichweite und einsatzbereit hielten, freundete sie sich doch nach und nach mit diesen Umständen an, die – so hoffte sie zumindest – ihren zukünftigen Status als Königinmutter vorwegnahmen.
    Gié stand immer frühmorgens auf und ging sehr spät zu Bett, registrierte jede Geste, jedes Wort und jede Andeutung und führte sein Gegenüber oft mit seinem blasierten Lächeln in die Irre. Louise hatte ihn aber inzwischen derart gründlich beobachtet, dass sie mittlerweile sehr gut wusste, wie sie ihn nehmen musste, um eine Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen.
    Ludwig XII. kehrte geschwächt aus Italien zurück. Während die Truppen die Loire hinaufmarschierten und diverse Gerüchte über den König in Umlauf kamen – es hieß sogar, die Armee wäre durch Fieber, das sie sich in Mailand zugezogen hatte, erheblich dezimiert worden –, machte sich Anne über die Folgen dieser Rückkehr große Sorgen.
    Die Vorstellung, einen kranken Gatten zurückzubekommen, erfüllte sie mit Entsetzen, weil sie nichts anderes im Sinn hatte, als sofort einen neuen Thronfolger von ihm zu empfangen. Und so wurde auch gleich, noch ehe man den König überhaupt zu Gesicht bekommen hatte, behauptet, Ludwig XII. hätte sich die unheimliche Krankheit eingefangen, der Karl VIII. gerade noch einmal entkommen war. Angeblich waren viele seiner Männer einfach desertiert, um sich nicht anzustecken.
    Seit Beginn des Italienfeldzugs war Neapel für Frankreich verloren. Dennoch zählten Ludwig und seine Armee auf eine plötzliche Wende und blieben in Erwartung besserer Vorzeichen im Lande.
    In der darauffolgenden Phase verfiel die Armee des Königs zusehends. Im Laufe der Zeit musste sich Louis XII. von immer mehr Illusionen verabschieden. Die großen Träume, die er von seinem
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