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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho
Autoren: Colin Dexter
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der Mann schließlich, wischte sich mit einer orangefarbenen Papierserviette den Mund ab und wollte aufstehen. »Was darf ich Ihnen holen, Madame? Also – da wären … äh, Obstsalat und Kuchen und dann noch so ein Karamelzeug …«
    Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm. »Lassen Sie uns doch einfach ein bißchen hier sitzen und uns unterhalten. Ich habe immer Schwierigkeiten, gleichzeitig zu essen und zu reden. Aber ich bin anscheinend wieder mal die einzige, der das so geht.«
    Ihre Bemerkung war zutreffend. Der große Raum war – das wurde ihm erst jetzt bewußt – von Besteckgeklapper und Stimmengewirr erfüllt.
    »Noch etwas Wein?« fragte er.
    »Ich glaube, ich habe genug gehabt, oder?«
    »Sobald man meint, genug zu haben, ist es an der Zeit für mehr.«
    Sie lachte ihn an. »Haben Sie sich das ausgedacht?«
    »Nein, das habe ich mal auf der Rückseite einer Streichholzschachtel gelesen.«
    Sie lachte wieder, und beide tranken einen Schluck Wein.
    »Übrigens … was Sie da eben gesagt haben … daß Sie mich … also, daß Sie …«
    »Daß ich Sie attraktiv finde?«
    Sie nickte.
    »Und?«
    »Ich möchte gerne wissen, warum Sie es gesagt haben.«
    Er zuckte mit den Achseln, wie um Gleichgültigkeit zu demonstrieren. »An solche Äußerungen müßten Sie sich doch eigentlich inzwischen gewöhnt haben. Bestimmt haben Ihnen Dutzende von anderen Männern vor mir schon dasselbe gesagt. Warum nehmen Sie es nicht einfach zur Kenntnis, und damit hat sich’s? Strenggenommen ist Ihr Aussehen ja auch gar nicht Ihr Verdienst – der liebe Gott hat es in diesem Punkt eben nur besonders gut mit Ihnen gemeint. So wie ich ganz ohne eigenes Zutun einen überragenden Verstand mitbekommen habe.«
    »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
    »Nein?! Ich dachte …«
    »Meine Frage bezog sich nicht darauf, daß Sie es gesagt haben, sondern wie. «
    »Und wie habe ich es gesagt?«
    »Das ist schwer zu beschreiben. Irgendwie nett eben, aber gleichzeitig auch irgendwie etwas traurig.«
    »Sie sollten sich abgewöhnen, dauernd ›irgendwie‹ zu sagen.«
    »Ich wollte Ihnen einen Eindruck wiedergeben und hatte Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Aber ich kann auch den Mund halten, wenn Ihnen das lieber ist.«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Da sieht man mal wieder, wohin einen Ehrlichkeit führt. Gleich bekommen wir noch Streit. Und alles bloß, weil ich gesagt habe, was ich denke. Ich finde Sie nun mal attraktiv. Neben Ihnen zu sitzen und Sie anzusehen tut mir gut. Und wenn Sie es genau wissen wollen: ich glaube, je länger ich Sie ansehe, um so attraktiver werden Sie. Das muß wohl am Wein liegen.« Sein Glas war leer, und er streckte die Hand nach der Weinflasche aus.
    »Das Traurige ist nur, daß die meisten Männer, wenn sie eine Frau attraktiv finden, nur einen Gedanken im Kopf haben: möglichst schnell mit ihr ins Bett zu gehen.«
    »Und wieso ist das traurig?«
    »Weil es zwischen Männern und Frauen mehr geben kann als nur Sex. Viel mehr.«
    »Vielleicht haben Sie recht. Mir fehlt, um da mitreden zu können, leider die Erfahrung.«
    »Aber wenn Sie eine Frau mögen, dann doch für das, was sie ist, und nicht nur für ihr Aussehen, oder?« Sie hatte sich ihm zugewandt. In ihren Augen stand ein Ausdruck ungestümer Zuneigung.
    »Jetzt würde mich aber wirklich interessieren, wie Sie zu dieser …« Er mußte plötzlich schlucken und konnte nicht mehr weiterreden. Sie hatte unter dem Tisch nach seiner Hand gegriffen und verschränkte ihre Finger mit den seinen.
    »Würden Sie mir wohl mal den Wein rüberreichen?« Einer der Gäste, ein massiger, schon älterer Mann mit ungesund roter Gesichtsfarbe, war, ohne daß sie es bemerkt hatten, hinter sie getreten und blickte anzüglich lächelnd auf sie hinunter. »Tut mir wirklich leid, daß ich Ihr trautes Beisammensein stören muß, aber ich sitze nun mal nicht gern auf dem trocknen.«
    Sie rückten wie ertappt auseinander und blieben auch so, denn die übrigen Gäste begannen jetzt erneut, sich vor dem kalten Büffet zu sammeln, um sich ihren Nachtisch zu holen.
    »Es ist wohl besser, wir schließen uns den anderen wieder an«, sagte er ohne rechte Überzeugung. »Ich fürchte, wir fallen sonst auf.«
    »Würde Ihnen das etwas ausmachen?«
    Er schien einen Moment lang ernsthaft nachzudenken, dann verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen. »Also, wenn ich es mir recht überlege – eigentlich schert es mich einen Dreck, was die Leute hier von mir
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