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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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Leute Mitleid mit ihm.«
    »Er ist nicht mehr im Krankenhaus. Er ist mit einer anderen Frau weggegangen. Sie können es morgen in der Zeitung lesen, wenn sonst nicht viel passiert.« Ich betrachtete das Blatt Papier in meinen Händen und überlegte, ob es deutlich genug war, um es nach Amerika zu faxen. Dann fiel mir der modrige Umschlag auf.
    »Möchten Sie, daß ich Ihnen den Artikel vorlese?« stichelte Mr. Waka weiter. »Oder die neueste Umfrage über Mr. Glendinnings Image?«
    »Einen Moment.« Langsam dämmerte mir etwas. Weshalb war mir das nicht vorher aufgefallen?
    »Was haben Sie denn da?« Waka-san kam hinter seinem oden- Kesselhervor und blickte mir über die Schulter. »Ein Brief aus Amerika?«
    »Der Brief ist an das Postamt in Kawasaki adressiert.«
    »Natürlich. Hier steht die Nummer des Postfachs.«
    Ich war nach Kawasaki gefahren, um dort ein Haus zu suchen, dabei wäre ich im Postamt richtig gewesen. Das Postamt, in dem wahrscheinlich noch mehr Post für Setsuko lag, der letzte wichtige Schlüssel zu ihrer Vergangenheit.
    »Ich wußte gar nicht, daß es in Japan überhaupt Postfächer gibt.«
    »Es ist nicht sehr gebräuchlich.« Mr. Waka nickte. »Aber viele Leute haben ihre Sparkonten bei der Post – es sind dieselben Gebühren wie bei der Bank, und die Post ist gleich um die Ecke!«
    »Ich bin bei der Sanwa«, sagte ich abwesend. »Ich muß sofort hin … sie schließen mittags …«.
    »Sie gehen zur Sanwa-Bank?«
    »Nein, zur Post!«
    »Was ist mir ihrem Fax?« fragte Mr. Waka.
    »Könnten Sie es für mich abschicken? Ich zahle es, wenn ich wiederkomme.«
    »Aber das ist eine internationale Nummer! Ich kann nur im Inland faxen.« Er sog Luft zwischen den Zähnen ein – das sollte bedeuten, das ich keine Chance hatte.
    »Was?« Ich packte ihn an den Schultern. »Bitte. Können Sie das Fax nicht neu einstellen? Ich zahle alles, was Sie verlangen.«
    »Wenn ich das neu programmiere, macht das sehr viel Arbeit …«
    »Waka-san, wenn alles glattläuft, dann macht die Yomiuri ein Interview mit Ihnen.«
    Ich ordnete die Seiten richtig und legte einen Zettel mit meiner Telefonnummer dazu. Ich hoffe, ich zerstöre damit nicht Ihr Leben, schrieb ich und setzte meinen Namen darunter.
     
    Während ich durch die sauberen grauen Straßen von Kawasaki eilte, dachte ich bei mir, daß das Postamt die sinnvollste Adresse für Setsukos vertraulichen Briefwechsel war. Es lag zwischen Hayama und Tokio, und doch bestand keine Gefahr, dort Nachbarn zu treffen. Außerdem hatte sie es seit Jahren, und ihr Vater würde gar nicht mitbekommen, daß sie in eine sehr exklusive Gegend gezogen war.
    Ich hatte meine Perücke aufgesetzt, und als ich mit dem Bus zum Postamt fuhr, erntete meine glänzende Haarpracht einige bewundernde Blicke. Ich hoffte, die Leute würden mir abnehmen, daß jemand in meinem Alter ein eigenes Postfach hatte. Postamtbarbie, dachte ich.
    Ich irrte kurz durch das Postamt, bevor ich die stählernen Fächer mit den Kombinationsschlössern sah. Als ich die Nummer 63992 entdeckte, drehte ich die Scheibe. Es funktionierte nicht. Ich versuchte es sechsmal mit der Kombination, bis ich aufgab und den Code noch einmal aus der Handtasche holte. Gab es da einen Trick in Japan? Funktionierten nicht alle Kombinationen rechts-links-rechts, wie in jeder Umkleidekabine, die ich in meinem Leben betreten hatte?
    Andere Kunden wurden auf mich aufmerksam, deshalb ließ ich es bleiben und ging so unschuldig wie möglich an den Hauptschalter. Ich zog eine Nummer und wartete mit den anderen, bis ich an der Reihe war. Um Viertel vor zwölf wurde ich aufgerufen.
    »Entschuldigen Sie, aber ich kann mein Postfach nicht öffnen.« Ich warf die Hände hoch, als wäre das die dümmste Sache der Welt.
    »Die Nummer?« Die Angestellte, ihrer Anstecknadel nach eine Auszubildende, zog einen Metallkasten mit Karteikarten unter dem Tisch hervor. Sie hatten noch nicht auf Computer umgestellt, wie es häufig in Japan der Fall war.
    »Sechs-drei-neun-neun-zwei«, sagte ich.
    Die Frau suchte einen Moment, zog eine Karte heraus und las sie mit ernster Miene. »Mrs. Ozawa, ihr Fach wurde geschlossen, weil Sie die letzten zwei Monate keine Miete bezahlt haben.«
    »Das tut mir leid. Ich war verreist«, sagte ich, was ja auch stimmte. »Was schulde ich Ihnen?«
    »Achttausend Yen.«
    Ich schluckte. Vergeblich suchte ich in meiner Tasche nach Geld. Warum war ich nicht erst zur Bank gegangen? »Es tut mir leid, so viel Geld habe ich
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