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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Kriegsgefangenen waren auf freien Fuß gesetzt und in das Lager zurückgeschickt worden, wo der Hekim alles in seiner Macht Stehende tat, um die eiternden Wunden und gebrochenen Knochen der ausgemergelten Soldaten zu heilen. Sobald die traurige Prozession angekommen war, hatte Mustafa Pascha den Befehl gegeben, den Verschlag, in dem die Venezianer gefangen waren, zu öffnen.
     
    Der Himmel war mit milchigen Wolken verhangen, und eine angenehme Brise fächelte die Gesichter der schwitzenden, aber glücklichen Männer, die im Licht des frühen Abends auf die bereits halb verlassene Stadt zumarschierten. Elissa strahlte Neslihan, die in den ausgebeulten Männerkleidern noch zerbrechlicher wirkte als sonst, mit leuchtenden Augen an. Es hatte einen Augenblick äußerster Spannung gegeben, in dem sie fürchteten, entdeckt zu werden. Zwei Janitscharen hatten genau dann in ihre Richtung geblickt, als sie sich unter die Venezianer mischen wollten. Elissas Herz hatte einige Schläge ausgesetzt, doch die türkischen Soldaten hatten schnell wieder gelangweilt den Blick abgewandt, um ihrer Enttäuschung darüber, dass es keine Plünderungen geben würde, mit einem Feuerwerk aus Schimpfwörtern Ausdruck zu verleihen. Obwohl sie am liebsten innerlich jubiliert hätte, war sie sich dessen bewusst, dass ihre Flucht immer noch vereitelt werden konnte. Falls Selim beschließen sollte, seine Reise auf den Grund des Weinfasses zu beenden und für eine andere Art der Feier in ihr Zelt stolperte.
     
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Zypern, der Hafen von Famagusta, 4. August 1571
     
    Die Silhouette der Insel verschwand langsam im Dunst des heißen Sommertages. Elissa lehnte an der hölzernen Reling der Brigg, deren Deck Neslihan und sie – versteckt im Gewimmel der Menschen, die aus der Garnisonsstadt evakuiert wurden – über wackelige Planken betreten hatten. Sie hatte ihr Glück kaum glauben können, bevor der Laufsteg eingezogen und die Seile durchtrennt worden waren. Dann hatten die Ruderer das Schiff ins tiefe Wasser gesteuert, und die Segel waren gesetzt worden. Sie war auf dem Heimweg! Ein Heim ohne Eltern, aber dennoch ein Heim. Sie seufzte. Ihr Sohn würde eines der mächtigsten Handelsimperien erben, und sie hoffte, dass er das kaufmännische Geschick seines Großvaters – ihres Vaters – haben würde. Neslihan hatte geweint, als sie ihr von dem Plan erzählte, sie als Schwester anzunehmen. Die beiden Mädchen hatten sich lange in den Armen gelegen.
     
    Ein wenig entfernt von ihnen – im Schatten des Hauptmastes – stand der junge Venezianer, der ihnen bei der Flucht geholfen hatte. Er streichelte zärtlich über die dunklen Locken eines Mädchens, von dem Elissa annahm, dass es die Gemahlin war, von der er so liebevoll erzählt hatte. Etwas weiter heckwärts lehnte ein weitaus unterschiedlicheres Paar an den wetterdunklen Brettern der Kajüte. Es schien in ein ernstes Gespräch vertieft zu sein.
     
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    „Wie lange?“, fragte Christoforo seine Gemahlin schüchtern. Außer dunklen Ringen unter den Augen hatte sie keinerlei Schaden davongetragen. Zwar hing der versuchte Mord immer noch wie das Schwert des Damokles an einem seidenen Faden über ihren Köpfen. Doch die Liebe, die er glaubte, unter all dem Schmerz in ihren sanften Augen lesen zu können, würde ihnen gewiss helfen, diese schwere Zeit zu überstehen. Vielleicht war dies die Strafe für ihren Ungehorsam. In jeder freien Sekunde betete er dafür, dass Desdemona ihm vergab. „Ich weiß nicht, wie lange“, griff diese das Gespräch wieder auf und blickte sich nervös um. Als sie sich versichert hatte, dass die venezianische Wache in der Nähe war, fuhr sie fort: „Und ich weiß auch nicht, ob ich je vergessen kann, was du getan hast.“ Sein Herz setzte einige schmerzhafte Schläge lang aus. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und brachte etwas mehr Abstand zwischen sich und Christoforo. „Man sagt, die Zeit heile alle Wunden“, seufzte sie. „Aber noch kann ich mir das nicht vorstellen.“ Christoforo spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, und er senkte hastig den Kopf, um seine Schwäche vor den anderen Mitreisenden zu verbergen. „Was immer ich tun kann, um dein Vertrauen zurückzugewinnen“, flüsterte er, „ich werde es tun.“ Ein trauriges Lächeln spielte um Desdemonas Mund. „Wenn ich das nur selbst wüsste!“ Mit diesen Worten wandte sie ihm den Rücken und sah hinaus auf die ruhige See.

Epilog
     
Zypern, Ein Platz in Famagusta, 28.
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