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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen
Autoren: Michael Swanwick
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Verzweiflung. »Wir schaffen es nicht.«
    »Dann gib mir den wahren Namen des Mischlings.«
    »Was?«
    »Seinen wahren Namen«, knurrte Melanchthon. »Ich habe die Programmierung, und ich weiß, wie ich sie benutzen muß. Gib mir seinen Namen, und ich kann ihm befehlen, sein Reittier unter sich zu zerstören.«
    »Nein!«
    »Ich weiß, daß du ihn hast. Er brennt in deinem Gehirn wie ein Leuchtfeuer.« Der Drache streckte dunkle Ranken nach ihr aus. Sie hätte ihn leicht ausschließen können, indem sie seine elektrischen Systeme rasch aus- und wieder angeschaltet hätte. Aber bei diesen Geschwindigkeiten konnten sie sich auch nicht die kürzeste Ablenkung leisten. Es hätte sie beide umgebracht.
    »Rocket!« schrie sie. »Kehr um! Kehr um!«
    Ganz bewußt und auf eine grobe und verzerrte Weise war die Berührung des Drachen schmutzig, als tauche man eine Hand in schwarze Melasse und zöge sie über die Vorderseite einer weißen Baumwollbluse. Flink wie ein Wiesel bohrte sich diese Hand in ihren Hort an Erinnerungen.
    Es war völlig irrational, wußte sie. Rocket konnte sich nirgendwo in Sicherheit bringen. »Du mußt mir zuhören!« Sie hörte ihn kichern. Es war ein tiefer und häßlicher Laut, gleichermaßen zusammengesetzt aus Verlangen und Tränen. »Rocket!«
    Das Quietschen einer zweiten Luft-Luft-Rakete, die on-line gebracht wurde, tönte vom Warnsystem. Ein scharfes Piepen, als sie nach dem Radarschlüssel suchte. Ein freudiger Aufschrei, als sie ihn gefunden hatte.
    »Sein Name!« Der Drache näherte sich seiner Beute. Jane widersetzte sich, warf ihm willkürlich irgendwelche Erinnerungsfetzen in den Weg: Ratsnickle, der den Schwanz in der Hand hielt und sie höhnisch angrinste. Gwen, die ein neues Halsband ausprobierte. Smidgeon, der in den Schatten hinter einem Eisenschrottbehälter saß und weinte, während ihn Rooster angewidert ansah. Der Aufstieg über das gewundene Rückgrat im Haus Incol - gierig schnappte Melanchthon nach dem, was er dort sah.
    »Kunosoura!« rief er in dem Moment, als die Rakete abgefeuert wurde.
    Für den Zeitraum eines Augenzwinkerns sah Jane eine kugelförmige Wellenfront mit Schallgeschwindigkeit davonrasen. Der wahre Name von Rockets Halbschwester mußte irgendeinen nebensächlichen Einfluß gehabt haben, denn bei der Berührung durch die Front änderte das Geschoß wie verrückt die Richtung und stürzte überschlagend auf den schimmernden Ozean zu. Eine brennendweiße Kuppel stieg auf, berührte es, und das Geschoß hörte ohne Veränderung einfach auf zu sein. Es hatte sich in das eigene Potential verflüchtigt. Ebenso brach Lesyas wahrer Name in die eigenen Silben zusammen und verschwand aus dem Dasein.
    Ein drittes Geschoß wurde heraufgebracht. Jane hörte seine Stimme im Kopfhörer, und Rockets Stimme ebenfalls. Er summte leise vor sich hin; ein wahnsinniges Amalgam aus Wut, Lust und Verzweiflung. »Komm schon, Baby! Ein wenig näher. Ja, ja, jetzt hab ich dich. Ich hab dich, du süße Kleine, häßliche Kleine.« Er hielt 8607 stetig und dicht hinter ihr, gerade außerhalb der Reichweite ihrer Geschütze. Das Piepen setzte ein. »Ooh, ja, jetzt gehörst du mir.«
    »Bedeutet dein Wort nichts?« wollte Melanchthon wissen. »Du hast dich die ganze Zeit über mit der Vorstellung getäuscht, du könntest deinen Bastard-Geliebten dazu bringen, dich von deinem Tun abzuhalten, dich vor den Konsequenzen zu bewahren, den Dolch beiseite zu schlagen, dich in seinen Armen aufzuheben und dich zu einem rosafarbenen warmen Bett mit Satindecke zu tragen, wo ihr auf immer so sicher und gemütlich leben könntet wie zwei Maden im Speck. Scheißdreck! Es spielt jetzt keine Rolle mehr, was er fühlt oder will. Er kann jetzt gar nicht mehr anders, als dich zu töten. Das Universum hat dich in eine andere Ecke gedrängt - du kannst töten oder sterben. Etwas anderes bleibt dir nicht. Macht dich das nicht wütend? Lechzt du deshalb nicht nach Rache? Oder willst du ein weiteres Mal vor Dame Schicksal in die Knie gehen? Willst du zermalmt werden, um wieder aufzuerstehen und das Labyrinth der Folter immer und immer wieder abzulaufen? Stell dich doch mal auf die Hinterfüße!«
    »Ich ...«
    Ein freudiger Schrei stieg vom dritten Geschoß auf.
    »Sein Name!«
    Es war unausweichlich. Nichts, aber auch gar nichts sonst blieb ihr übrig.
    »Tetigistus«, murmelte Jane.
    Melanchthon brüllte triumphierend, da explodierte das Geschoß unmittelbar vor 8607 im Akt des Abgeschossenwerdens. In Stücke
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