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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds
Autoren: Aufbau
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sie schmierte sich
     die Butter zu dick auf das Brot, und Timur begriff langsam das Problem.
    – Hör mal, sagte er eines Abends zu Fatma, hör mal, ich glaube, ich weiß, was wir tun können. Das nächste Mal, wenn meine
     Mutter sich beschwert, dann ziehe ich dich hier ins Zimmer, und ich schlage auf die Sitzkissen und brülle ein wenig herum,
     und du schreist auf wie vor Schmerz, dann gehe ich raus, und du bleibst noch ein wenig drinnen.
    Jedesmal, wenn Zeliha sich bei ihrem Sohn über ihre Schwiegertochter beschwerte, gingen die beiden nun in ihr Zimmer, und
     kurz darauf hörte man Schläge und Schreie. Die Beschwerden wurden immer seltener.
    Timur erzählte seinen Freuden begeistert von diesem Trick, und sie lachten gemeinsam, stießen an und tranken. Und als der
     Herbst zu Ende ging, wußte es die ganze Stadt.
    – Wir müssen uns etwas Neues ausdenken, sagte Timur, als sie eines Abends nebeneinander auf der Matratze lagen. Das Bettgestell
     hatten sie verliehen, eine entfernte Verwandte Timurs hatte geheiratet, und auch sie wollte ihre Hochzeitsnacht in einem richtigen
     Bett verbringen. Um dieses Bett, dessen Füße er mit Messing verziert hatte, beneideten den Schmied selbst die Reichen.
    – Wir könnten doch fortgehen, sagte Fatma, du könntest eine Werkstatt aufmachen, ein wenig Handel treiben, ich könnte Teppiche
     weben. Du hast zwei Pferde, wir könnten woanders leben.
    Ja, er hatte zwei Pferde und einen Esel, ja, er hatte etwas Geld, aber wo sollten sie hin? Fort aus der Stadt, weg von allen
     Verwandten und Freunden, in eine andere kleine Stadt, wo sie niemanden kennen würden?
    |20| – In die Fremde? fragte er.
    – Wir könnten aufs Dorf ziehen, sagte Fatma.
    – Du weißt doch gar nicht, wie das ist, das Leben dort ist ganz anders. Die haben nicht mal Klos, die hocken sich in die Sträucher.
    – Wir könnten ein Klohäuschen bauen. Du könntest die Schmiede behalten und hin- und herreiten, nebenbei das Obst und Gemüse
     der Bauern auf dem Markt verkaufen. Timur, wir könnten unser eigenes Leben leben.
    – Ich überlege es mir.
    Und damit er besser nachdenken konnte, nahm er sich frei und fuhr mit dem Zug nach Ankara. Er wollte ein paar Tage lang das
     Leben in der großen Stadt genießen, Autos sehen, die Häuser der Reichen, die Geräusche und Gerüche, die Menschenmassen. Tagsüber
     saß er in Teehäusern und fing Gespräche mit den Großstädtern an. Die einen sagten, der Krieg würde bald vorbei sein, die anderen
     sagten voraus, er würde noch lange andauern und die Deutschen würden in einem halben Jahr vor Istanbul stehen wie die Osmanen
     einst vor Wien. Für Timur war dieser Krieg trotzdem weit weg, er hörte zu, aber als sich eine Gelegenheit ergab, wechselte
     er schnell das Thema und versuchte herauszubekommen, wer wie er Anhänger von Beşiktaş war. Fußball interessierte ihn mehr
     als Politik.
    Und am meisten interessierten ihn die Abende in der Großstadt. Ein paar Stunden in einem Lokal den leicht bekleideten Sängerinnen
     zuhören und dabei ein, zwei Gläser trinken, ein Stück Honigmelone essen, etwas Schafskäse, und schon nach dem dritten Glas
     verschmolz er mit dem Klang. Und noch später lag er allein und entspannt in einem billigen Hotelzimmer, die Sorgen hatten
     aufgehört, sein Geschäft war weit weg, seine Mutter auch, hier kannte ihn niemand, er hatte sich verloren in der großen Stadt,
     er hatte sich verloren, als würde er Habgier verlieren, Streben, Bedenken, Ketten. Er hatte sich verloren, um sich lächelnd
     auf einem Hotelbett wiederzufinden, sein Atem gleichmäßig und ruhig.
    |21| Als er zurückkam, sagte er:
    – Der Winter ist keine gute Zeit zum Umziehen.
    Im Frühjahr hatte Timur ein Haus gefunden und ihren Hausrat auf dem Rücken der Pferde und des Esels dorthin gebracht. Er hatte
     einen Pferdewagen gemietet, um das Bett, das mittlerweile zurückgekommen war, zu transportieren, und schließlich hatte er
     seine Frau geholt. Zwei Stunden hatte sie auf dem Rücken des Esels gesessen, bis sie ankamen. Der Ritt auf einem der Pferde
     dauerte nur etwa halb so lang.
    Es war Fatmas Idee gewesen, aufs Dorf zu ziehen, doch sie kannte Dörfer nur aus Erzählungen, und Dorfbewohner waren ihr bisher
     nur als Händler auf dem Markt begegnet.
    Als sie an ihrem ersten Tag im neuen Haus abends im Bett lagen, fragte Fatma:
    – Sind die Frauen hier alle miteinander verwandt?
    – Nein, wieso?
    – Die tragen alle die gleichen Kleider.
    Timur lachte.
    –
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