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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder
Autoren: Juliet Marillier
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so wie in den Geschichten. In den alten Geschichten geschehen schlimme Dinge, und wenn die Geschichte sich entwickelt hat und zu ihrem triumphierenden Schluss kommt, ist es, als wären diese Dinge nie gewesen. Das Leben ist nicht ganz so einfach. Es wäre gut gewesen, den Schaden, der mir an jenem Tag im Wald an Körper und Geist zugefügt worden war, einfach vergessen zu können. Aber solche Dinge werden nie vollkommen vergessen, obwohl sie im Lauf der Jahre verblassen. Und so gab es, als wir dieses erste Mal beieinander waren, einen Augenblick, in dem ich in erinnerter Angst keuchte und mein Körper erstarrte und ich zitterte. Aber der Rote hielt mich und strich mir übers Haar und sprach leise zu mir und wartete auf mich. Und endlich öffnete mein Körper sich ihm wie eine Blüte und wir bewegten uns langsam und dann schneller, und wir seufzten und schrien auf und fanden Befreiung in den Armen des anderen. Er zeigte mir, dass die Vereinigung zwischen Mann und Frau tatsächlich etwas Wunderbares ist, etwas, was man genießen kann, etwas, wobei man lachen kann. Bis zu jener Nacht hatte ich ihn nie wirklich lachen hören. Und was die Klatschtanten von Harrowfield anging – alles, was sie über meinen Mann gesagt hatten, entsprach der Wahrheit, wurde ihm aber kaum gerecht.
    Nachdem wir am nächsten Morgen in einer Art glücklicher Betäubung erwacht waren, mit dümmlichem Lächeln auf den Lippen und kaum imstande, die Hände voneinander zu lassen, begleitete mich der Rote zum Dorf, und während ich mich dort um die Kranken kümmerte, machte er sich daran, die Namen eines jeden Mannes, jeder Frau und jeden Kindes dort zu lernen und sie höflich in ihrer eigenen Sprache zu grüßen. Zunächst betrachteten sie ihn mit einigem Unbehagen. Aber seine stolpernden Anstrengungen, sich verständlich zu machen, führten zu Lächeln und Witzeleien, und außerdem sahen alle, wie es uns zumute war. Mich kannten und liebten sie, und wenn er mein Mann war, dann muss er in Ordnung sein, Brite oder nicht. Bald genug schon bat man ihn, sich eine Sau anzusehen, mit Handzeichen einen Rat zu geben oder eine verrottete Diele zu ersetzen oder zu helfen, einen Pfosten aufrecht zu halten, während Stützen befestigt wurden. Mit der Zeit gewann er sie alle.
    Zu Hause war es schwieriger. An jenem ersten Tag wurde er ausführlich von Donal und Liam verhört. Conor hatte überraschend wenig zu sagen. Ich sah seinen ernsten Blick, der auf mir ruhte, und als ich ihn später beiseite zog, sagte er: »Du fandest das ungerecht, nicht wahr? Dass wir ihn dazu brachten, sich so vor uns zu entblößen?«
    »Du warst hart mit ihm«, sagte ich. »Ich hatte gedacht, dass zumindest du ihn ohne eine solche Prüfung als das erkennen würdest, was er ist.«
    Conor lächelte. »Ohne diese Prüfung hätte er dir vielleicht nie gesagt, was er empfand. Ich kannte den Mann als das, was er war. Ich wusste, dass es mit euch so sein würde. Ich kann nicht in die Zukunft sehen wie Finbar, aber diese Begegnung der Geister war so unvermeidlich wie der Weg von Sonne und Mond über den Himmel. Ich wusste es seit einiger Zeit, aber es wäre ein Fehler gewesen, es ihm zu einfach zu machen. Ihr musstet beide lernen, was Verlust bedeutet, bevor ihr zu Verstand kamt. Sag mir, hat sie dich aufgesucht, dieses Wesen aus der anderen Welt, das dich auf deinen Weg führt? Hast du sie wieder gesehen, seit du nach Hause zurückgekommen bist?«
    »Woher kannst du so viel wissen?« Ich war verblüfft und wäre zornig geworden, wäre nicht die Freude so stark in mir gewesen, dass es alles andere ausschloss.
    »Ich habe Grund, meine Fähigkeiten hin und wieder zu überprüfen«, sagte Conor. »Sie sind jämmerlich genug; sie haben bisher genügt, aber das wird nicht länger dauern. Ich muss diesen Ort bald verlassen und mich auf eine andere Reise machen, und es mag lange dauern, bis ich dich wieder sehe. Es erleichtert mir den Abschied, dich nach allem, was du durchgemacht hast, zufrieden zu sehen. Ich glaube allerdings, dass dies alles vorherbestimmt war.«
    »Du willst doch nicht sagen … du willst doch nicht sagen, dass die ganze Geschichte, dass alles … zu diesem Zweck geschah? Damit er und ich – nein, das kann ich nicht glauben.« Er hatte mich verwirrt. Er musste sich doch sicher irren. Wir waren nicht nur Marionetten, sondern Männer und Frauen, die selbst unsere Wahl trafen.
    »Eines ist sicher«, sagte er. »Das Feenvolk wird dir nie die Antwort geben. Aber es ist ein
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