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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe
Autoren: Astrid Fritz
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spürte sie nun.
    Die Wirtin hatte sich erhoben. «Gehen wir zu Bett. Morgen ist auch noch ein Tag. Kommt, ich zeige Euch Eure Kammer.»
    «Wartet – nur noch eine Frage. Wo genau ist meine Mutter gestorben? Wo ist ihre Asche?»
    Das Gesicht der alten Frau wurde zu einer Maske.
    «Ich erzähle Euch alles, was Ihr wissen wollt. Nur über Catharinas Tod möchte ich nicht sprechen.»
    «Bitte!»
    Mechtild umklammerte mit beiden Händen die Stuhllehne, während sie mit stockenden Worten zu erzählen begann. Sie selbst sei nicht dabei gewesen, flüsterte sie, an jenem unglückseligen Tag habe sie sich in der dunkelsten Kellerecke verkrochen und gebetet.
    «Versprich mir eins», sagte sie abschließend und fiel unwillkürlich ins vertraute du. «Verrate keiner Menschenseele hier, dass du die Tochter von Catharina Stadellmenin bist. Das könnte dir großen Schaden zufügen. Es braut sich wieder etwas zusammen in Freiburg. Und es wird schlimmer kommen als vor drei Jahren.»
     
    Eine warme Maisonne strahlte vom Himmel, als sich Marthe-Marie zu ihrem schwersten Gang entschloss. Ihre Tochter, von der sie sich sonst niemals trennte, hatte sie in der Obhut von Mechtild gelassen. Nichts deutete auf die düstere Prophezeiung der Wirtin hin, weder das herrliche Wetter noch die Stimmung der Menschen in den Gassen, die sich, froh über das Ende der dunklen Jahreszeit, ihre Arbeit ins Freie geholt hatten oder schwatzend und scherzend beisammen standen. Hinter dem Schneckentor, das die südliche Vorstadt zur Dreisam hin abschloss, bog Marthe-Marie linker Hand zum Schutzrain ab, einer verdorrten Wiese, die zum Großteil von einem Schießplatz eingenommen wurde. Ihre Schritte wurden langsamer, als sie hinter dem Gelände der Armbrustschützen eine große kahle Fläche erreichte, in deren Mitte verwitterte Steinblöcke lagen. Dunkle Flecken und Schlieren hatten sich wie ein Muster auf den Granit gelegt. Ihr Blick konnte sich nicht lösen von den blutigen Spuren der zahllosen tödlichen Schwerthiebe. Wie viele endlose Momente der Angst, der ungeheuerlichsten Schmerzen und der Verzweiflung hatte ihre Mutter wohl ertragen müssen, bis schließlich die scharfe Schneide des Richtschwerts dem ein Ende bereitet hatte! Doch schlimmer noch, man hatte ihr verwehrt, was jeder Mensch für sich erhoffte: in Würde und Achtung zu sterben.
    Marthe-Marie faltete die Hände und sank auf die Knie. «Herr, du bist die Auferstehung und das Leben. Wer an dich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist.»
    Die Worte kamen hastig, kaum blieb ihr Luft zum Atmen. Dann endlich, nach vielen Gebeten an die Toten, wurde ihr leichter. «Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen. Lass sie ruhen in Frieden. Amen.»
    Hier also waren sie zu Tode gekommen, ihre Mutter durch die Folgen abscheulicher Verleumdung und blinder Besessenheit, ihr heimlicher Gatte Christoph durch seinen eigenen Dolch. Marthe-Mariewar überzeugt: Auch wenn den beiden kein christliches Begräbnis in geweihter Erde zuteil geworden war, so hatten sie doch Aufnahme in das Reich Gottes gefunden. Christophs Selbsttötung mochte Sünde in den Augen der Kirche sein. Vor Gott, der verstehen und verzeihen konnte, würde er Gnade gefunden haben.
    Marthe-Marie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und bekreuzigte sich. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte sich um, konnte aber nur einen Mauerwächter ausmachen, der in der Nähe des Tores auf und ab schritt.
    Ein letztes Mal berührte sie die Richtblöcke, dann ging sie das kurze Stück hinunter zum Ufer der Dreisam. Ein Floß glitt auf der schwachen Strömung gemächlich an ihr vorbei, der Mann, der es lenkte, winkte ihr zu. Menschen wie dieser Flößer oder die freundlichen Marktfrauen heute Morgen oder der Stadtknecht, der dort oben seinen Dienst tat – sie alle waren vielleicht dabei gewesen, hatten mit gierigem Blick und offenen Mäulern das blutige Tun des Henkers begafft und waren dem Schindkarren auf dem Weg hinaus zum Radacker gefolgt, wo die drei enthaupteten Frauen unter dem Galgen dem Scheiterhaufen übergeben worden waren. Marthe-Marie hatte diesen Galgen bei ihrer Ankunft in Freiburg gesehen, dicht an der Landstraße nach Basel stand er. Doch jetzt erst wusste sie, dass dort die Flammen in den Himmel gelodert waren. Alles, was wichtig war, hatte Mechtild ihr erzählt. Auch dass die Asche der Delinquentinnen in die Dreisam gekippt worden war, genau wie der Leichnam von Christoph. Sie
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