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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe
Autoren: Astrid Fritz
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zu bleiben, wäre nicht jener Dezembermorgen gewesen, kurz nach Veits Todestag und damit dem Ende ihrer Trauerzeit als Witwe. Ein schriller Schrei weckte sie noch vor der Morgendämmerung. Sie rannte hinunter zur Haustür, wo Mechtild, im Hemd und mit aufgelöstem Haar, im Türrahmen lehnte und schwer atmend auf den Boden starrte. Auf der Schwelle lag eine kleine Holzflöte, in zwei Teile zerbrochen, und auf dem Dielenbrett stand mit Kreide geschrieben:
    Die Hexentochter wird sterben!

3
    «Und du hast niemanden weglaufen sehen?», fragte Marthe-Marie. «Oder Schritte gehört?»
    Mechtild wirkte noch hagerer und kleiner als sonst.
    «Nein, nichts. Ich bin von einem dumpfen Schlag aufgewacht; es hörte sich an, als ob jemand einen Stein gegen die Tür schleudert. Doch bis ich geöffnet hatte, war niemand mehr zu sehen. Außerdem war es ja noch ganz dunkel.»
    Marthe-Marie legte die zerbrochene Flöte aus der Hand. Es gab keinen Zweifel, es war das Instrument, das Christoph ihrer Mutter in jungen Jahren geschnitzt hatte. Ganz schwach war noch die Gravur zu erkennen: «Für C von C».
    «Gütiger Herr im Himmel, wer kann so etwas Schändlichestun?» Mechtild ließ sich auf die Ofenbank sinken. «Und wie kann irgendjemand wissen, dass du Catharinas Tochter bist? Kein Sterbenswort ist jemals über meine Lippen gekommen. Alle hier kennen dich als Marthe-Marie Mangoltin aus Konstanz.»
    Vergeblich versuchte Marthe-Marie, ihre Gedanken zu ordnen. Der Schreck an diesem Morgen hatte sie tief getroffen. Wer konnte ihr drohen wollen? Und vor allem warum? Bis vor einem halben Jahr hatte sie hier in Freiburg doch keine Menschenseele gekannt.
    Mechtild sah sie ratlos an. «Vielleicht war es nichts weiter als ein böser Scherz. Vielleicht gibt es gar niemanden, der die Wahrheit kennt, und der Übeltäter ist einer von diesen Trunkenbolden, die wir erst kürzlich an die frische Luft gesetzt haben. Aus Rache beleidigt er dich nun als Hexe. Leider Gottes hört man in letzter Zeit die Leute wieder ständig über Teufelsbuhlschaft und Schadenszauber schwatzen.»
    «Auf der Schwelle stand Hexentochter – nicht Hexe. Darauf kommt doch niemand aus Zufall. Und außerdem   –» Sie stockte. «Siferlin hat dich angelogen, damals in seinem Kontor. Nichts von den Dingen meiner Mutter ist in der Abortgrube gelandet – er hat alles aufbewahrt. Ich bin mir sicher, er hat auch ihre Bücher und Briefe und den verzierten Wasserschlauch von Christoph. Und er hat seine Gründe, dass er alles aufbewahrt. Siehst du es nicht? Er führt etwas im Schilde.»
    «Marthe-Marie   – Siferlin ist tot!»
    «Weißt du das mit Sicherheit? Vielleicht ist er seiner Hinrichtung entkommen? Vielleicht hat man statt seiner irgendeinen armen Teufel aufs Rad geflochten? Und der saubere Dr.   Textor hat einmal mehr weggeschaut, weil ihm Recht und Unrecht einerlei sind.»
    «So beruhige dich doch. Du machst dich ganz verrückt mit solchen Hirngespinsten.»
    «Nein, warte, Mechtild. Was, wenn Siferlin längst weiß, dassich Catharina Stadellmenins Tochter bin? Und mich nun ebenso als Hexe anzeigt wie damals meine Mutter? Du hast doch selbst erzählt, wie er dich damals ausgefragt hat über mich, und wie seltsam er sich dabei benommen hat. Und weil er herausgefunden hat, wer ich bin, hat er das Bildnis damals ausdrücklich mir und nicht etwa Lene zukommen lassen.»
    «Aber der Kerl lebt doch längst nicht mehr! Du verrennst dich da in deine Phantastereien.»
    «Er hat meine Mutter gehasst und in den Tod getrieben. Und mich, ihre Tochter, hasst er ebenso.»
    «Bitte, Marthe-Marie, hör jetzt auf damit. Mir ist noch ganz schlecht von dem Schrecken, da fängst du an, Gespenster zu sehen und Tote auferstehen zu lassen. Ich weiß wirklich nicht, was mich mehr ängstigt. Komm, lass uns zu Morgen essen und über die Einkäufe sprechen. Das bringt dich auf andere Gedanken.»
    Erst jetzt bemerkte Marthe-Marie, wie elend Mechtild aussah. «Du hast Recht. Verzeih, ich wollte dich nicht verrückt machen. Vielleicht war es ja wirklich einer dieser versoffenen Leinenweber.»
    Mechanisch machte sie sich an die tägliche Arbeit, und das Entsetzen begann langsam in Wut umzuschlagen. Wer auch immer ihr drohen mochte – sie würde die Augen offen halten und versuchen, es herauszufinden.

4
    O ja, Meister Siferlin
.
    Ich weiß noch jedes Eurer Worte auswendig: «Die Tochter der Hexe heißt Marthe-Marie Mangoltin. Sie lebt in Konstanz. Bevor du sie tötest, frag sie, in welchem Haus sie ihre
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