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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe
Autoren: Astrid Fritz
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äußerst günstigen Preis zu erwerben.»
    «Habt Dank für die Auskunft, aber ich bin nicht von hier und habe keinen Bedarf, ein Haus zu kaufen.» Sie ging rasch weiter.
    «Na, dann kann ich es Euch ja verraten», rief er ihr hinterher. «Hier hat eine leibhaftige Hexe gehaust. Deshalb will es niemand haben.»
    Ohne Umwege kehrte Marthe-Marie ins «Schneckenwirtshaus» zurück und blieb für den Rest des Tages bei Mechtild.
     
    Eigentlich hatte Marthe-Marie am kommenden Tag das Predigertor und das Christoffelstor aufsuchen wollen, um dort ein stilles Gebet für ihre Mutter zu sprechen. Doch allein der Gedanke, dass Catharina in den beiden Türmen wochenlang gefangen gelegen hatte und unaussprechlichen Qualen ausgesetzt gewesen war, raubte ihr fast den Verstand. Stattdessen mietete sie Maulesel und Karren und fuhr hinaus nach Lehen, wo Catharina zusammen mit Lene und Christoph den größten Teil ihrer Kindheit im Gasthaus der Schillerwirtin verbracht hatte.
    Das Weingärtner- und Bauerndorf lag friedlich in der Morgensonne. Es wirkte überraschend wohlhabend und sauber. Auffälligwaren die riesigen Ammonshörner, die in die Giebelfronten der meisten Häuser eingemauert waren – kostbare Fundstücke aus der Gegend, die für ewig währende Fruchtbarkeit standen und als Abwehrzauber gegen Feinde und Unwetter dienten. Als sie vor dem prächtigen Gasthof hielt, der direkt an der Hauptstraße lag, zögerte Marthe-Marie, abzusteigen und sich umzusehen. Ihr war nicht entgangen, dass ihr die Blicke sämtlicher Dorfbewohner gefolgt waren, seitdem sie die ersten Häuser passiert hatte. Als sich ein alter Mann ihrem Karren näherte, beeilte sie sich weiterzukommen. Erst vor dem Lehener Bergle, einem lang gestreckten Weinberg oberhalb der Kirche, zügelte sie ihr Maultier im Schatten einer mächtigen Kastanie und kletterte den Hang hinauf. Versonnen betrachtete sie das Dorf, in dem ihre Ziehmutter und ihre leibliche Mutter wie Schwestern aufgewachsen waren. Rechts und links des Kirchturms von St.   Cyriak reihten sich die kleinen Fachwerkhäuser aneinander, eingebettet in Wiesen, Felder und Laubwälder in erstem kräftigem Grün. In der Ferne, vor der blassen Silhouette des Schwarzwalds, ragte der Münsterturm in den Himmel.
    Doch selbst hier oben fand sie keine Ruhe. Sie kehrte zur Straße zurück und fand den Maulesel inmitten einer Schar von Kindern, die das Tier mit einer Weidenrute piesackten. Sie hatte nicht bedacht, dass sie in diesem beschaulichen Flecken, ganz anders als im Gedränge der Freiburger Gassen, auffallen würde wie ein bunter Hund, und beschloss, umgehend in die Stadt zurückzukehren.
    Auf dem Rückweg kam sie an einem vornehmen Anwesen vorbei, das nur der ehemalige Herrenhof von Lehen sein konnte. Sie gab dem Maulesel die Peitsche, denn sie erinnerte sich plötzlich, dass der Hof nach dem Verkauf des Dorfes an die Stadt Freiburg von niemand Geringerem als Dr.   Textor erworben worden war, dem Commissarius im Prozess gegen ihre Mutter. In diesem Moment schoss aus der Stalltür ein zottiger Hund auf sie zu und stellte sich ihr mit gefletschten Zähnen in den Weg.
    Sie erhob sich vom Bock und schwang die Peitsche. «Verschwinde!»
    Ein schriller Pfiff – und der Hund gab mit eingeklemmter Rute den Weg frei. Jetzt erst entdeckte sie den alten Mann auf der Bank, der sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Unglauben anstarrte. Seine Kleidung war vornehm, der weiße Backenbart sorgfältig gestutzt, neben der Bank lehnten zwei Krücken.
    Textor, dachte Marthe-Marie entsetzt, und trieb den Maulesel in Trab.
    «Junge Frau, wartet!» Sie wandte sich kurz um und sah noch, wie sich der Alte mühsam mit Hilfe seiner Krücken erhob, dann war sie hinter dem Stallgebäude verschwunden und gelangte auf freies Feld. Ihr Herz schlug immer noch heftig, als sie die Mauern der Stadt erreichte, und sie schalt sich eine Närrin. Was hatte sie sich eigentlich erhofft von ihrer Reise nach Freiburg? Statt zu ihren Wurzeln zurückzufinden, fühlte sie sich zunehmend verfolgt. Hätte sie doch den Rat ihres Ziehvaters beherzigt und die Vergangenheit auf sich beruhen lassen. Jetzt war es zu spät.
    Doch just an diesem Nachmittag kehrte Mechtild mit strahlender Miene von ihrem Gang über den Markt zurück.
    «Stell dir vor, Marthe-Marie, da renne ich seit Wochen bei Pontius und Pilatus die Türen ein, um herauszufinden, wohin Benedikt Hofer damals fortgezogen sein könnte, und erfahre es heute ganz nebenbei in der Bäckerlaube. Der
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