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Die Tiefen deines Herzens

Die Tiefen deines Herzens

Titel: Die Tiefen deines Herzens
Autoren: Antje Szillat
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und ich. Nicht dass sie dick wäre – um Himmels willen, eine Frau mit der Selbstbeherrschung meiner Mutter konnte überhaupt nicht dick werden –, aber Clara wirkte im Vergleich zu ihr beinahe zierlich.
    »Hast du Lust, zum Strand zu gehen? Ich meine, etwas außerhalb, wo nicht so viel Sommerferientrubel herrscht?«
    Ich zuckte mit den Schultern, was so viel wie von mir aus bedeuten sollte.
    Eigentlich wollte ich allein sein, mit meinen Gedanken rund um Felix und dem dazugehörigen Gefühlschaos. Andererseits mochte ich meine Tante nicht vor den Kopf stoßen, denn sie war mir von der ersten Sekunde an sympathisch gewesen. Ihre lockere Art und dieser leicht englische Akzent, der sich fraglos im Laufe der letzten Jahre in England in ihr Deutsch eingeschlichen hatte … Clara war ganz anders als meine Mutter und das gefiel mir.
    Meine Tante strahlte vor Freude. »Ich sag nur schnell Bodo Bescheid, damit er ein Auge aufs Haus hat. Dann können wir los.«
    Ich hatte zwar keine Ahnung, wer Bodo war und warum er ein Auge aufs Haus haben sollte, war mir aber sicher, es gleich von Clara zu erfahren, denn sie redete gern und viel.
    Ich hatte mich nicht getäuscht. Wir waren kaum hundert Meter den Bürgersteig entlang Richtung Strand gegangen, da wusste ich schon, dass es sich bei Bodo um einen supernetten Frührentner aus dem Mehrfamilienhaus nebenan handelte, der immer die Stellung in Claras Pension hielt, wenn sie einmal unvorhergesehen wegmusste.
    Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Sie erzählte mir, warum sie und Jamie sich ausgerechnet auf Usedom niedergelassen hatten und wie sie auf einmal diese ältere Dame kennengelernt hatte.
    »Ich war total verzweifelt, weil einfach nichts Passendes zu finden war. Alles, was direkt am Wasser lag, war viel zu teuer für uns. Dann traf ich Frau Melchior, und der Zufall wollte es, dass sie ganz genau das richtige Haus für mich hatte.«
    Meine Tante blieb stehen, streckte in einer überschwänglichen Geste die Arme zur Seite aus und rief: »Ich hätte die ganze Welt umarmen können, als ich Frau Melchior am nächsten Tag besuchte. Ich habe mich auf der Stelle in ihr Haus verliebt.«
    Ich musste grinsen. Claras übermütige Art wirkte fast ansteckend auf mich.
    »Es ist schön, dich lächeln zu sehen«, fand sie. »Ich dachte schon, du hättest Kummer.«
    »Vielleicht«, erwiderte ich leise und hob unentschlossen die Schultern. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr von Felix und mir erzählen sollte, schließlich kannten wir uns kaum.
    Plötzlich machte meine Tante einen Schritt auf mich zu. Es sah beinahe so aus, als wollte sie mich umarmen, was mir bei aller Sympathie dann doch ein wenig übertrieben vorgekommen wäre.
    Im letzten Moment schien sie aber selbst zu merken, dass das keine gute Idee war, und ließ die Arme wieder sinken. »Magst du darüber reden?«
    Ich atmete tief durch, hatte aber keine Antwort auf ihre Frage. Einerseits hätte ich gern mit jemandem über die Sache mit Felix gesprochen und gefragt, ob das vernünftig war, was wir getan hatten. Andererseits ging das nur Felix und mich etwas an. Außerdem käme ich mir Clara gegenüber ziemlich blöd vor, wenn sie erfahren würde, dass ich mit siebzehn das erste Mal einen Jungen geküsst hatte. So richtig. Da konnte sie mich doch nur für total verklemmt halten. Es reichte schon, dass mich Geena ständig damit aufzog.
    Leni, wenn du so weitermachst, endest du noch als Nonne im Kloster,
war Geenas Lieblingsspruch.
    »Entschuldige. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Es geht mich ja auch nichts an«, sagte Clara.
    Ich winkte ab. »Nein, nein. Es ist nur … ich kann nicht darüber reden. Noch nicht. Ich muss mir erst selbst über einige Dinge klar werden.«
    »Das verstehe ich.«
    Wir schwiegen eine Weile, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, bis Clara schließlich betont heiter ausrief: »Was hältst du von einer Planänderung, Leni?«
    Ich sah sie fragend an. »Planänderung?«
    Clara nickte. »Eigentlich wollte ich heute Abend mit dir und Jamie ins
Kartoffelhaus
schick essen gehen. Quasi zur Begrüßung. Doch jetzt habe ich viel mehr Lust auf Lagerfeuer, Stockbrot und Rotwein.«
    »Und wo gibt es das alles?«
    Claras grüne Augen funkelten vergnügt. »Wo immer du willst. Aber für heute schlage ich vor, wir kaufen alles im Supermarkt ein, und wenn Jamie später nach Hause kommt, macht er uns ein gemütliches Feuerchen auf der Wiese hinterm Gästehaus.«
    Ich stutzte. »Geht das denn? Ich meine,
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