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Die Tiefen deines Herzens

Die Tiefen deines Herzens

Titel: Die Tiefen deines Herzens
Autoren: Antje Szillat
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wackelte einfach mit den Schultern, schaute nach oben und sog die Luft tief durch die Nase ein. »Riecht nach Regen.«
    Als Minuten später die ersten schweren Tropfen auf das Dach des Baumhauses klopften, konnte ich nur noch über seine Klugheit staunen.
    »Komm«, rief Felix und sprang auf. »Wir machen einen Regentanz unten im Garten!«
    Ich nickte begeistert, und dann vollführten wir den tollsten Regentanz, den die Welt je gesehen hatte. Felix drehte sich im Kreis, schmiss die Arme in die Luft und hüpfte auf der Stelle. Ich streckte meine Arme weit zur Seite aus, legte den Kopf in den Nacken und wirbelte dabei um mich selbst, bis mir ganz schwindelig wurde. Mein Herz wummerte wie verrückt, und das Gefühl, vor Glück platzen zu müssen, kribbelte in mir.
    Wir tanzten so lange barfuß durch den Garten, bis der Regen nachließ und nur noch sein schwerer Dunst in der Luft lag.
    Der Rasen dampfte und unsere Klamotten pappten an unseren Körpern, als wir uns keuchend der Länge nach auf den Boden fallen ließen. Seite an Seite. Kaum eine Handbreit, die zwischen uns gepasst hätte.
    Da schloss ich die Augen und dachte: So soll es bleiben. Am besten für immer!
    Tatsächlich wurde mir in den nächsten zehn Jahren niemand so vertraut wie Felix.
    Er verstand mich, ohne dass ich ein Wort sagen musste. Er war mein Seelenverwandter, mein Beschützer, mein Held! Stark, mutig und zweifelsohne gut aussehend, was ich mit zunehmendem Alter an den Mädchen bemerkte, die Felix umschwirrten wie die Motten das Licht.
    Trotzdem war ich nie eifersüchtig. Warum auch? Wir waren ja kein Paar. Jedenfalls kein Liebespaar. Wir waren Freunde. Die allerbesten. Natürlich fiel mir auf, wie schnell er den Mädchen den Kopf verdrehte. Das gelang ihm genauso mühelos wie Fußball spielen. Dennoch war ich immer wieder überrascht, wie leicht er sie dazu brachte, ihn anzuhimmeln. Ein Blick aus Felix’ leuchtend hellblauen Augen genügte und die Mädchen schienen darin zu versinken.
    Doch ich wusste, dass Felix nur mit ihnen spielte. Er blendete sie, die Tanjas, Melanies und Sophias, zog sich eine fremde Haut über, damit keine von ihnen auf den Grund seiner Seele sehen konnte. Das war nur mir vorbehalten – nur für mich öffnete Felix sein Herz.
    In dieser Gewissheit schaute ich fast ein wenig mitleidig auf die Mädchen, die beim Fußball am Rand des Grüns herumlungerten, mit feuchten Händen und klopfenden Herzen, in der Hoffnung, Felix würde ihnen einen Blick schenken. Nur einen einzigen Blick.
    Ab und zu tat er ihnen den Gefallen. Dann standen sie regungslos da. Ich glaubte, ihre Herzen schlagen zu hören. Da-dumm, da-dumm, da-dumm. Ich konnte spüren, wie ihnen förmlich die Luft wegblieb. Der Mund sich trocken, die Kehle rau anfühlte. Ich sah die Halbmonde von Schweiß unter den Achseln ihrer Shirts und sie taten mir leid. Denn mehr als das, den Hauch eines Moments, in dem die Welt für sie stehen zu bleiben schien, würde Felix ihnen nicht schenken.
    »Aus der Ferne betrachtet, mögen Frauen toll sein, und es kommt einem faszinierend vor, sich auf sie einzulassen. Aber von Nahem erkennt man ihr wahres Gesicht und ist verloren, wenn man ihnen glaubt.«
    Ich wusste, dass Felix über seine Mutter sprach, als er dies zu mir sagte. Dass sie der Grund war, warum er sich als achtjähriger Junge geschworen hatte, sich niemals zu verlieben. Denn wer nicht liebt, der kann auch nicht verletzt und verlassen werden.
    So einfach ist das.

N imm dir Zeit, um zu träumen;
das ist der Weg zu den Sternen.
(Aus Irland)
2
    Die Luft war so heiß, dass es beim Einatmen ein wenig schmerzte. Sie flirrte über den grauen Asphalt des Bahnsteigs, auf dem ich stand und auf den Zug wartete.
    »Nun mach nicht so ein Gesicht.« Mein Vater knuffte mir aufmunternd in die Seite. »So schlimm wird es schon nicht werden. Außerdem soll es auf Usedom wirklich schön sein.«
    »Na prima, dann fahr
du
doch hin!« Meine Stimme triefte vor Sarkasmus, was meinen Vater zu einem tiefen Seufzer veranlasste.
    »Ach, Leni, das haben wir nun doch schon tausendmal diskutiert.«
    Oh ja, und wie wir das hatten. Wenn auch mit ungerecht verteilten Rollen, denn ich hatte von vornherein keine Chance gegen die Entscheidung meiner Eltern gehabt, dass ich die ersten drei Wochen meiner Sommerferien bei meiner Tante Clara auf Usedom verbringen sollte.
    So wenig, wie ich auf diese Insel wollte, so wenig kannte ich meine Tante Clara. Sie war praktisch eine Fremde für mich. Beim letzten Mal,
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