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Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid

Titel: Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Autoren: Åsa Camilla;Träff Grebe
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Sara eine Betreuerin zugeteilt
und sie gezwungen wurde, regelmäßig Urinproben abzuliefern. Derartige Maßnahmen sind meist ziemlich folgenlos, und das waren sie auch in diesem Fall. Saras Betreuerin legte ihr Mandat bald nieder, nachdem Sara sie eine »Scheißsozialarbeiterfotze« und eine »verdammte Sozialarbeitervettel« genannt und auf ihren Schreibtisch gerotzt hatte. Die Betreuerin behauptete außerdem, sich von Sara bedroht zu fühlen, wobei sie Sara wohl in Wahrheit eher leid war, weil sie so anstrengend und arbeitsintensiv war.
    Aggressiv? Auf jeden Fall. Aber ich habe nie erlebt, dass Sara jemand anderem als sich selbst geschadet hat. Man kann es wohl am besten so umschreiben, dass sie eine untrügliche, fast schlafwandlerische Fähigkeit besitzt, sich immer genau für die Alternative zu entscheiden, die die schlechteste ist, und immer für den Weg, der ihr den maximalen Schmerz bereiten wird. Sie scheint eine Art eingebauten, unzerstörbaren Via-Dolorosa-Kompass im Schädel zu haben.
    Nach dem Bruch mit der »Scheißsozialarbeitervettel« folgte die Einweisung in eine Pflegefamilie. Als Sara fünfzehn war, vergewaltigte ihr Pflegevater sie wiederholte Male. Sara tat das aus ihrem Gesichtspunkt einzig Logische und versuchte wegzulaufen. Tatsache ist, dass es ihr mehrere Male gelang, sie aber immer wieder aufgegriffen und von den peniblen lokalen Ordnungsmächten zurück in die Pflegefamilie gebracht wurde. Und hier manifestierte sich ihr destruktives, selbstschädigendes und sexuell ausagierendes Verhalten erst richtig.
    Als Sara achtzehn Jahre alt war, bekam sie zum ersten Mal eine echte psychiatrische Diagnose: Borderline-Persönlichkeitsstörung. Wie üblich nützte es nichts, dass es der Psychiatrie gelang, das in Worte zu kleiden, was ihr fehlte. Es ging ihr immer schlechter. Kurz danach wurde sie für zwei Monate in
einer psychiatrischen Klinik aufgenommen wegen ihres vermutlich durch Drogen verursachten psychoseähnlichen Zustands. Sara selbst redet von der Psychiatrie als »die Hölle«, und ich nehme an, dass sie bei ihrem Abstieg dorthin mehr oder minder alle Ambitionen aufgegeben hat, jemals ein normales Leben führen zu können, ein »Mustermann-Leben«, wie sie es selbst immer nennt. In Saras Fall folgte der Zeit in der psychiatrischen Institution eine Periode immer intensiveren Drogenmissbrauchs, und ein halbes Jahr nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie wurde Sara zwangsweise in die staatliche Entzugsanstalt in Norrtälje eingewiesen, um ihren Missbrauch von Drogen, die zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus Amphetaminen und synthetischen Halluzinogenen bestanden, in den Griff zu bekommen.
    Dann geschah etwas. Unklar, was. Nicht einmal Sara kann es anders erklären als mit den Worten, sie habe einfach beschlossen zu leben. Und nicht zu sterben.
    Und heute? Drogenfrei seit zwei Jahren, eine eigene Wohnung im Stockholmer Midsommerkransen-Viertel. Arbeitslos. Viele Freundinnen und noch mehr Freunde.
    Sara ist wirklich ein Veteran, was die Psychiatrie angeht. Sie ist nach allen Regeln der Kunst analysiert worden. In der Kinderpsychiatrie, in ambulanten psychiatrischen Einrichtungen und den geschlossenen Anstalten. Sie hat mehr Sozialarbeiter, Betreuer, Psychologen und Psychiater gesehen, als ich je Patienten hatte. Das verpflichtet. Manchmal habe ich das Gefühl, als wäge sie meine Kommentare ab, kategorisiere mich und sortiere mich gedanklich in eine Rangordnung von Hirnverdrehern ein. Sie kann Kommentare von sich geben, die zweifellos von meinen Vorgängern stammen: »Ja, sicher, aber haben Sie auch die wachsende Konkurrenz unter den Geschwistern bedacht, die ein Resultat der frühen Trennung meiner Eltern
war?« oder »Ich gebe ja zu, dass das schrecklich ödipal klingt, aber manchmal habe ich wirklich geglaubt, dass Göran mich auf seine Art geliebt hat.«
    Ich denke an Saras dünne, vernarbte Beine und Arme. Sie sehen aus wie ein Bahnhof, auf dem sich die Gleise mal kreuzen, mal parallel nebeneinander verlaufen. Man nennt sie auch »Ritzer«. Mädchen, die sich selbst verletzen, um ihre Angst zu dämpfen.
    Aber natürlich ist Sara viel mehr als eine psychiatrische Diagnose: Sie ist intelligent, Expertin im Manipulieren und tatsächlich ziemlich unterhaltsam, wenn sie in der richtigen Laune ist. Jetzt soll sie wieder rehabilitiert werden. An das normale Leben angepasst werden, das sie niemals hatte und sicher niemals bekommen wird.
    Angepasst werden. Sich anpassen.
    Ich lege die Hand
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