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Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid

Titel: Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Autoren: Åsa Camilla;Träff Grebe
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Müdigkeit. Ich mag nicht mehr lügen. Will dieser sich hinziehenden Folter ein Ende bereiten.
    Seine Augen betrachten mich, und er drückt fester mit den Knien zu, so dass meine Arme von den Ellbogen bis zum Handgelenk von dem Druck schmerzen.

    »Ich habe Jenny nicht getötet, Christer. Das warst du. Dein Kontrollzwang und deine übertriebene Fürsorge haben sie erstickt. Begreifst du das nicht?«
    »Halt die Schnauze!«
    Der Schlag kommt schnell und unerwartet. Er trifft mich schräg über der Wange, aber er tut nicht weh. Er hat etwas Schlaffes, Unengagiertes an sich. Wie eine Ohrfeige, die man einem Kind versetzt, nur um des Anscheins willen, von einem Elternteil, das gar nicht schlagen will.
    »Halt die Schnauze«, wiederholt er, dieses Mal leiser.
    Er beugt sich vor, und einen Moment lang glaube ich, er will mich küssen, doch er legt nur seinen Kopf auf meine Brust, und ich kann spüren, dass er weint.
    »Ich habe ihr nie wehtun wollen.«
    Christer setzt seinen jammernden Monolog fort, aber die Worte ertrinken im Schluchzen und kaum hörbaren Grunzen. Einen Moment lang löst sich der Eisendruck seiner Knie. Sein Körper erzittert in Weinkrämpfen.
    Christers Schmerz ist so stark, so physisch. Für einen Augenblick meine ich ihn zu spüren, er pflanzt sich durch seinen Körper fort und verbreitet sich in weichen Wellen bis zu mir. Ich muss an Stefan denken, an das Unfassbare, dass er weg ist. Ich denke an die mahlende, reibende Trauer, die nicht loslassen will. Und ich verstehe Christer. Mitten in diesem Albtraum, während ich auf dem Rücken im Bett in meinem Schlafzimmer liege, Christers Kopf auf meiner Brust, mein Oberteil feucht vom Erbrochenen, vom Rotwein und seinen Tränen, überschwemmt mich plötzlich eine Welle des Mitleids für ihn. Ich weiß, was für ein Gefühl es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt, und wie schmerzhaft es ist, wenn es keine Antwort auf die Frage gibt, warum.
    »Es tut mir leid.«

    Ich schaue zu Christer hoch, versuche seinen Blick einzufangen.
    »Es war unverantwortlich von mir, das zu sagen. Natürlich ist es nicht deine Schuld, dass Jenny gestorben ist.«
    Christer hebt den Kopf, begegnet meinem Blick. Seine Augen sind rotgesprenkelt, Rotz und Tränen vermischen sich auf der groben Haut seiner Wangen. Er sieht zweifelnd aus. Skeptisch, aber gleichzeitig verzweifelt genug, um den kleinen Trost anzunehmen, den ich ihm bieten kann.
    Die Absolution.
    »Als Stefan, mein Mann, gestorben ist, war ich vollkommen leer. Ich konnte nicht glauben, dass er fort ist. Ich kann es immer noch nicht wirklich glauben. Ich kann es nicht akzeptieren. Ich denke oft, dass er hier ist. Dass er direkt hinter mir steht. Ich tröste mich mit der Illusion, dass er nur weg ist, um einzukaufen oder zur Arbeit zu gehen oder den Wagen in die Werkstatt bringt. Ich kann einfach nicht verstehen, dass ich ihn niemals wiedersehen werde. Manchmal sehe ich ihn trotzdem von weitem. Kann ihn im Bus erkennen oder in der Menschenmenge in der Götgatan. Manchmal, wenn ich aufwache, kann ich seine Wärme im Bett spüren, für einen kurzen Moment spüre ich seinen Körper neben meinem. Dann erinnere ich mich wieder, und er verschwindet, die Wärme verschwindet.«
    Christer nickt. Er weiß, was ich meine. Plötzlich sind wir vereint, zwei Trauernde, Einsame, Zurückgelassene.
    »Jenny, sie war mein Kind, verstehst du, mein Kind. Sie hat so viel in meinem Leben verändert. Vor Jenny war das Leben sinnlos. Sie hat mir Sinn und Wärme gegeben und den Glauben, dass etwas von dem Wenigen, was gut an mir ist, weiter existieren würde. Nach ihr, nach Jenny, war das Leben mehr als sinnlos. Es gab gar nichts mehr. Nichts. Bis ich angefangen
habe, dir zu folgen, Siri. Du hast mir wieder einen Sinn gegeben. Der Gedanke, dass du für Jenny bezahlen sollst, hat mir Ruhe gegeben. Frieden.«
    Wir sind beide still. Vereint in dieser plötzlichen, unfreiwilligen Intimität; seine Hände um meine Arme, wie ein Geliebter. Von der Küche her ist das Ticken der Wanduhr zu hören, der Geruch von verbranntem Schinken hüllt uns ein.
    »Erzähl von Jenny, wie war sie?«
    Meine Frage kommt spontan. Ich habe Jenny nur als Patientin gekannt, auf dem Besuchersessel sitzend, mit ihren langen, schmalen Fingern trommelnd. Ich frage mich, wie das Kind Jenny war, die Zweijährige, das Schulmädchen, der Teenager.
    »Jenny war …«
    Christer zögert, denkt nach und scheint zu überlegen, wie er es formulieren soll.
    »Jenny war anders. Sie war
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