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Die Sünderinnen (German Edition)

Die Sünderinnen (German Edition)

Titel: Die Sünderinnen (German Edition)
Autoren: Irene Scharenberg
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glauben, mein Mann liebt mich nicht.«
    »Allein was Sie glauben, ist wichtig«, erklärte Mark, während er wiederholt einen verstohlenen Blick zur Wanduhr warf.
    Das bemalte Zifferblatt der Uhr sah aus wie ein Gemälde von Kandinsky. Ein weiteres Kunstwerk von seinem Freund, dem noch nicht berühmten Daniel Berger.
    »Vor unserer Heirat hat Klaus Eberhard mir geschworen, mich glücklich zu machen«, fuhr Marion Karsting fort.
    »Wenn er das immer noch wollte, müsste er mir jetzt gegenübersitzen.«
    »Er braucht also eine Therapie?«
    »Zweifellos. Leider wird er das wahrscheinlich nicht einsehen. Jedenfalls nicht, so wie Sie mir Ihren Mann beschrieben haben. Weil er aber zu keiner Therapie bereit ist, müssen Sie Ihre Haltung ändern, sofern Sie Ihr Leben verbessern möchten.«
    »Klaus Eberhard ist äußerst schlau«, entgegnete Marion Karsting, wobei sie die Hände nun so fest zusammenpresste, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Ganz der gerissene Staatsanwalt.«
    Ihre Augenlider zuckten nervös und ihre Stimmlage hatte sich verändert. Nicht sonderlich erstaunt registrierte er ihre heftige Reaktion. Müde notierte er etwas auf einem Schreibblock, der auf seinen Knien lag.
    »Achten Sie auf das immer selbe Schema«, erklärte er, als er wieder von seinen Notizen aufschaute.
    Seufzend beugte sie sich zu ihrer Handtasche hinunter und wühlte darin herum. Mark reichte ihr ein Taschentuch aus der Packung, die immer griffbereit auf einem kleinen Beistelltisch neben seinem Sessel lag.
    »Wie ich meinen Unterlagen entnehme, haben Sie Geschwister.«
    »Glauben Sie, die würden mir beistehen?«
    »Das kann ich nicht beurteilen, aber ich frage aus einem anderen Grund.«
    »Soo?«, fragte sie erstaunt. »Geht es denn nicht nur um meinen Mann?«
    »Eigentlich geht es nie nur um eine Person. Sicher sind wir weitaus mehr das Produkt unserer Mitmenschen, als wir das wahrhaben wollen.«
    »Nun, falls das wichtig sein sollte«, entgegnete sie zögernd, »ich habe kaum Kontakt zu meiner älteren Schwester und meinem jüngeren Bruder.«
    Für sein Empfinden hatte Marion Karsting mit ihrer Reaktion eine Spur zu lange gezögert. Wahrscheinlich erinnerte sie sich nicht besonders gerne an ihre Kindheit. Mark nahm an, dass das Klima in ihrer Familie auch schon durch Gewalt geprägt war und sie schon recht früh die Opferrolle angenommen hatte.
    »Fragen Sie Ihre Geschwister nach ihren Kindheitserlebnissen«, wagte er sich trotz aller Bedenken vor. »Wie haben Sie die Schläge Ihres Vaters empfunden?«
    »Woher wissen Sie, dass mein Vater uns geschlagen hat?«
    »Ein Kind, das die Wertschätzung durch seine Eltern kennengelernt hat, lässt sich nicht vom Partner schlagen, zumindest nicht auf Dauer.«
    Warum gaben sich seine Patienten manchmal so furchtbar naiv?
    »Für heute beenden wir die Sitzung«, erklärte Mark, während er ein Gähnen nur mühsam unterdrücken konnte.
    »Ich werde meine Hausaufgaben machen«, versprach sie und verabschiedete sich mit dem Anflug eines kurzen Lächelns.
    Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, atmete er kurz auf. Er fühlte sich irgendwie schuldig. Er besaß genügend kritische Distanz, um sein therapeutisches Vorgehen in dieser Sitzung nicht gutzuheißen. In seinem Metier kam es nicht auf sein Wissen an, sondern auf die Schlussfolgerungen seiner Patienten. Nur wenn Marion Karsting die Zusammenhänge selbst richtig erkannte, würde die Therapie endlich Fortschritte machen. Manchmal hasste er die Art, wie seine Patienten ihren Problemen immer wieder aus dem Weg zu gehen versuchten, anstatt ihr Leben endlich zu ändern. Besonders, wenn sein eigenes Leben ruhiges Fahrwasser zu verlassen drohte, drängte es ihn trotz besseren Wissens zu einer schnellen Lösung. Aber wie stand es schon so richtig im biblischen Buch Kohelet: Alles hat seine Zeit.
    Zum Glück war Marion Karsting die letzte Patientin an diesem Tag. Mark sehnte sich nach einem ruhigen Feierabend.

    Schnaufend stieg Kriminalkommissar Pielkötter die Stufen zur Praxis des Psychologen Mark Milton in der zweiten Etage hoch. Häuser ab zwei Stockwerken ohne Aufzug müssten verboten werden, dachte er, während ihm eine Frau mittleren Alters entgegenkam. Aus reiner Routine heraus musterte er sie, als wollte er ihre Personalien später zu Protokoll geben. Auch wenn er nicht wissen konnte, dass er ihr unter schrecklichen Umständen noch einmal begegnen würde. Manchmal störte ihn diese Gewohnheit. Sie bescherte ihm ständig das
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