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Die Sünderinnen (German Edition)

Die Sünderinnen (German Edition)

Titel: Die Sünderinnen (German Edition)
Autoren: Irene Scharenberg
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Ungewollt drängte sich einer dieser Werbeslogans für die »Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010« in sein Bewusstsein: Willkommen im Hochofen der Kultur. Noch verrückter fand er die Aufforderung: Reisen Sie in eine Metropole, die es noch gar nicht gibt. Pielkötter schüttelte den Kopf.
    Sein Blick wanderte zu einem Stück Hochofenschlacke an der gegenüberliegenden Wand. Sie stammte noch von seinem Vorgänger. »Dat is echte Kunst«, hatte der behauptet. Pielkötter hatte die Schlacke hängen lassen, obwohl er eigentlich nichts damit anfangen konnte. Als er nun genau hinschaute, glaubte er zum ersten Mal die Form eines Auges zu erkennen, eines unendlich traurigen Auges. Rechts und links daneben hingen zwei vergrößerte Fotografien. Beide zeigten vom Abendlicht angestrahlte Verladekräne im Ruhrorter Hafen. Die Fotos konnten Pielkötters Meinung nach weitaus besser für die Kulturhauptstadt werben als der Slogan »Wo die Ruhr in den Rhein mündet, entspringt eine Kulturmetropole.« In welcher Zeitschrift hatte er diesen Spruch nur gelesen?
    Die beiden Fotos stammten von seinem Sohn, der sein Hobby inzwischen zum Beruf erkoren hatte. Inwiefern hat ihn das Leben hier geprägt, fragte sich Pielkötter zum wiederholten Mal an diesem Tag. Wäre er in dem eher konservativen Münster vielleicht nicht schwul geworden? Zweifellos war das soziale Klima in Duisburg härter als in der alten Heimat. Hohe Arbeitslosenzahlen, geringere Bildungschancen, zahllose Beispiele nicht gelungener Integration. Viel Nonkonformismus. Trotzdem. Musste sein Sohn deshalb gleich schwul werden? Hübsche Mädchen gab es hier wahrlich genug und eine immer noch intakte Ehe hatte er doch als Beispiel vor Augen. Schluss jetzt, dachte Pielkötter und griff mit entschlossener Miene zum Telefon.
    »Richten Sie Barnowski aus, er soll sofort in mein Büro kommen«, schrie er nicht gerade freundlich in den Hörer. »Ja, sofort.«
    Seufzend bohrte Pielkötter seinen Füller in den jungfräulichen Notizblock und malte fast konzentrische Kreise darauf. Warum musste man in diesem Laden alles zweimal sagen? Sofort hieß eben sofort. Punkt. Aus. Ende. Wahrscheinlich hätte er sich in einen kleinen Wutanfall hineingesteigert, wäre Kriminalkommissar Barnowski nicht sogleich in den Raum gestürzt.
    Bernhard Barnowski war über zwanzig Jahre jünger als sein Chef. Im Gegensatz zu Pielkötter mit seinem untersetzten Körper, der etwas zu dick geratenen, ein wenig schiefen Nase und dem leichten Doppelkinn konnte man ihn geradezu als eine attraktive Erscheinung bezeichnen. Sein schlanker, durchtrainierter Körper zog die Blicke vieler Frauen ebenso auf sich, wie das volle schwarze Haar, der leicht spöttische Blick und vor allem die Grübchen, die sich bei dem kleinsten Lächeln zeigten. Zudem lächelte Barnowski sehr häufig, als wolle er seine positive Ausstrahlung so oft wie möglich unter Beweis stellen.
    Pielkötter hatte seinen Untergebenen schon immer als schnöden Schönling empfunden, aber heute erschien ihm dessen Attraktivität geradezu als Provokation. Irgendwie erinnerte ihn das wieder an die Neigung seines Sohnes, der wahrscheinlich auf Barnowski fliegen würde.
    »Ich möchte alle Daten im Fall Barbara Winkler«, donnerte Pielkötter.
    »Darf ich Platz nehmen?«, fragte Barnowski nicht gerade eingeschüchtert. »Es könnte länger dauern.«
    Widerwillig deutete Pielkötter auf einen der beiden Stühle, die vor seinem monströsen Schreibtisch standen.
    »Also, das Opfer war zweiundvierzig Jahre alt und besaß eine Galerie in Düsseldorf. Vor gut einem Jahr hat sie sich von ihrem Mann getrennt. Übrigens ein erfolgreicher Jurist. Das Scheidungsverfahren lief bereits.«
    »Also ein Geliebter im Spiel.«
    Barnowski mochte seinen Chef zwar nicht besonders, aber manchmal bewunderte er Pielkötters Begabung, relevante Sachverhalte zu erahnen.
    »Es deutet alles darauf hin«, antwortete er. »Soviel ich von einer Nachbarin erfahren habe, hieß ihr Geliebter Frederik Bodenthal. Genau der Mann, der Barbara Winkler gefunden hat. Allerdings wirkte der Typ ziemlich geschockt, als er den Mord gemeldet hat. Deshalb hat er sich auch geweigert, bis zu unserem Eintreffen am Tatort zu bleiben.«
    »Beschränken Sie sich auf die Details, die ich noch nicht kenne«, wandte Pielkötter missbilligend ein.
    »Also, über eine Befragung kann ich noch nichts berichten«, fuhr Barnowski fort, während er sich durch den dichten Haarschopf fuhr. »Der Mann ist laut Auskunft seines
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