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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret
Autoren: Emile Zola
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Glückseligkeiten aufwiegen sollten. Seine
Vernunft führte ihn irre und betrog ihn; seine Wünsche logen. Und
nahm er zu an Tugend, war es vor allem seiner Demütigkeit, seines
Gehorsams wegen. Der Letzte von allen wollte er sein, allen
dienstbar, auf daß der Tau der Göttlichkeit auf sein Herz wie in
starren Sand niederrieselte; er nannte sich schwach und
schandbedeckt, bis ins Tiefste unwürdig, von der Erbsünde erlöst zu
werden. Demütig sein heißt glauben, heißt lieben. Er war in nichts
mehr von sich abhängig, blind, taub, irgendein Ding ohne Willen,
Gottes Eigentum. Aus dieser Erniedrigung, in die er sich tief
vergrub, trug ein Hosiana ihn weit hinaus über Glück und Macht, in den Glanz eines endelosen Glücks. So
waren dem Abbé Mouret im Artaud die Entzückungen klösterlichen
Lebens beschieden, die er einst so glühend erwünschte beim
jedesmaligen Lesen der Nachfolge Jesu. Nichts in ihm kannte Kampf.
Vom ersten Kniefall an war er fehlerfrei, ohne Widerstand, ohne
Erschütterungen; es war, als ob der Blitzstrahl der Gnade sein
Fleischbewußtsein endgültig zernichtet habe. Verzückung in Gottes
Nähe, der einige junge Priester teilhaftig werden; glückselige
Stunde, wo alles schweigt, wo im großen Schweigen die Begierden
nichts mehr sind als ein maßloser Hang nach Reinheit. An keiner
Kreatur wollte er Tröstung gewinnen. Wenn man glaubt, daß eines
alles umfaßt, ist man unerschütterlich, und er glaubte an die
Allheit Gottes, glaubte, daß seine eigene Demut, sein Gehorsam,
seine Keuschheit alles seien. Er erinnerte sich, von der Versuchung
reden gehört zu haben als von einer schrecklichen Qual, die selbst
die Heiligsten befällt. Hierüber mußte er lächeln. Ihn hatte Gott
niemals verlassen. Im Glauben wandelte er wie in einem Panzer, der
ihn gegen die kleinste schlimme Regung schützte. Mit acht Jahren,
entsann er sich, weinte er in einem Winkel aus Liebe; er war sich
nicht bewußt zu lieben; er weinte, weil er irgendwo in der Weite
jemanden liebte. Diese Weichheit war ihm geblieben. Später hatte er
Priester werden wollen, um dieser übermenschlichen Liebessehnsucht
zu genügen, die einzig ihn quälte. So erfüllte er sein Wesen, seine
Veranlagung, seine Jünglingsträume und Jungmännerwünsche. Sollte
die Versuchung an ihn herantreten, er erwartete sie mit der ihm
eignenden Kaltblütigkeit des unwissenden Seminaristen. Der Mann war
ertötet in ihm; er fühlte es und war dessen
froh, glücklich, sich besonders zu wissen als entmanntes Wesen, von
der Art abweichend, durch die Tonsur gezeichnet als Lamm des
Herrn.

Kapitel 5
     
    Währenddem überschien warm die Sonne das große Kirchentor.
Goldfliegen schwirrten um eine große Blume, die zwischen zweien der
Vorplatzstufen hervorwuchs. Gerade als der Abbé Mouret, etwas
betäubt, sich zum Gehen anschickte, stürzte der große schwarze Hund
mit wildem Gebell auf das Gitter des kleinen, links von der Kirche
gelegenen Friedhofes zu. Gleichzeitig schrie eine harte Stimme: Oh,
du Taugenichts, die Schule schwänzest du, und dann findet man dich
auf dem Kirchhof … leugne nicht! Seit einer Viertelstunde
beobachte ich dich.«
    Der Priester trat näher. Er erkannte Vinzenz, den ein Bruder der
christlichen Schule rauh bei den Ohren nahm. Der Junge hing über
einer Schlucht, die den Kirchhof der Länge nach durchschnitt, in
deren Tiefe der Mascle floß, ein Strom, dessen weißschäumende Flut
sich zwei Meilen weiter in die Biorne ergoß.
    »Bruder Archangias!« sagte der Abbé sanft, um den erbosten Mann
zur Nachsicht zu bewegen. Der Bruder aber ließ nicht locker.
    »Ach, Sie sind es, Herr Pfarrer,« grollte er. »Denken Sie sich
nur, dieser Bengel steckt immer auf dem Kirchhof. Was er für
schlimme Streiche hier aushecken kann, ist mir unklar. Loslassen
sollte ich ihn, damit er sich den Schädel da unten zerschlüge.
Recht geschähe ihm das.«
    Der Junge gab keinen Laut von sich, klammerte
sich im Gestrüpp fest und kniff duckmäuserig die Augen zu.
    »Nehmen Sie sich in acht, Bruder Archangias,« begann der
Priester wieder, »er könnte ausgleiten.« Und eigenhändig half er
Vinzenz beim Heraufklettern. »Nun sag' mal, kleiner Freund, was
treibst du denn hier? Man darf doch nicht auf Kirchhöfen
spielen!«
    Der Lausbube machte die Augen auf, zog sich vorsichtig aus der
Nähe des Bruders zurück und suchte Schutz beim Abbé Mouret.
    »Ihnen will ich es sagen,« murmelte er und wendete ihm seine
pfiffige Miene zu. »In den Dornen ist ein
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