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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret
Autoren: Emile Zola
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Mädchen heirateten manchmal nach auswärts. Verbunden mit diesem
Erdenwinkel kamen sie zur Welt und starben, in ihrem Unrat stetig
wuchernd, mit der Einfalt von Bäumen, die aus ihrem Gesäme neu
erwachsen, ohne eine klare Vorstellung von der Weite der Welt zu
gewinnen über die gelben Felsen hinaus, hinter denen sie ihr Leben
fristeten. Und doch gab es auch bei ihnen Arme und Reiche; weil
Hühner verschwanden, wurden die Hühnerställe nächtlicherweile mit
schweren Vorhängeschlössern gesichert; ein Artaud brachte eines
Abends hinter der Mühle einen anderen Artaud um. Eingeschlossen von
dieser trostlosen Hügelumschnürung bildeten sie ein Volk für sich,
eine aus der Scholle geborene Rasse, eine Menschheit von
dreihundert Köpfen, die lebte wie zu Anbeginn der Zeiten.
    Lähmend hing noch der Schatten der Seminare über dem Abbé
Mouret. Jahrelang kannte er die Sonne nicht. Auch jetzt noch sah er
sie kaum; geschlossenen Auges spähte er nach Seelischem, und für
die fluchbelastete Natur hatte er nur Verachtung. Lange Zeit
träumte er, in Stunden der Sammlung, wenn er sich in Betrachtungen
löste, von einer wüsten Einsiedelei, irgendeinem Bergversteck, wo
nichts Lebendiges, kein Geschöpf, keine Pflanze, keine Flut ihn von
der Anschauung Gottes abzuziehen vermöchte. Eine Wallung reiner
Liebesbegeisterung war es, Abscheu vor jeder sinnlichen Empfindung.
Dort, vom Licht abgewandt, sich abtötend, hätte er seine Auflösung
erwartet, das Aufgehen in herrlicher Seelenweiße. Ganz weiß
erschien ihm der Himmel, in lichtvoller Weiße, als wenn Lilien ihm
entschneiten, als ob alle Reinheit, alle Unschuld, alle
Unberührtheit weiß aufleuchteten. Sein Beichtvater aber zankte ihn aus, als er ihm seine
Einsamkeitsgelüste, seinen Drang nach göttlicher Klarheit darlegte;
Er rief ihn auf, zu kämpfen für die Kirche, zur Notwendigkeit des
Priestertums. Nach Empfang der Weihen später war der junge Priester
auf seinen eigenen Wunsch nach dem Artaud gekommen in der Hoffnung,
sich hier der erträumten Vernichtung aller menschlichen Schwächen
hingeben zu können. Inmitten dieses Elends, auf diesem
unfruchtbaren Boden hoffte er seine Ohren den Geräuschen der Welt
zu verschließen und in heiligem Schlummer dahinzuleben. Und
wirklich, seit mehreren Monaten lebte er lächelnd dahin; kaum daß
eine Unruhe vom Dorf her ihn einmal trübte, kaum daß er einen
heißen Sonnenbiß im Nacken spürte, wenn er seine Straße zog, ganz
dem Himmel zugetan, ohne die nicht endenden Wehen zu vernehmen,
inmitten derer er wanderte.
    Der große schwarze Hund, der das Artaud bewachte, entschloß
sich, zum Abbé Mouret heraufzusteigen, zu dessen Füßen er sich dann
aufrecht wieder niederließ. Der Priester aber dämmerte weiter in
der Morgenlieblichkeit. Am Abend des vorhergehenden Tages hatte er
die Exerzitien des Marianischen Rosenkranzes begonnen. Die große
Freudigkeit in seinem Innern schrieb er gnädiger Fürbitte der
Jungfrau bei ihrem göttlichen Sohne zu. Wie nichtig ihm die
irdischen Güter erschienen! Wie erfüllte es ihn mit Dankbarkeit,
arm sein zu dürfen. Als er die Weihen empfing, überließ er sein
ganzes Vermögen seinem älteren Bruder; Vater und Mutter hatte er an
dem gleichen Tage verloren, infolge eines Unglücksfalles, dessen
ganzer Schrecken sich ihm noch nicht enthüllt hatte. Von irdischen
Beziehungen war ihm nichts als die Schwester
verblieben. Aus einer Art frommen
Zärtlichkeit für ihre Einfalt hatte er sich ihrer angenommen. Die
liebe Unschuld war so kindlich, so kleinmädchenhaft, daß sie ihm
angetan erschien mit der Reinheit jener Armen im Geist, denen
evangelische Worte das Himmelreich zusprechen. Seit einiger Zeit
jedoch begann sie ihn zu beunruhigen. Sie wurde zu kräftig, zu
üppig, zuviel Leben ging von ihr aus. Doch es kam kaum zu einem
Unbehagen. Er verbrachte seine Tage in dem verinnerlichten Zustand,
in den er hineingewachsen war, als er alles aufgab, um sich ganz
hingeben zu können. Er verschloß dem Sinnenleben die Tür, versuchte
der Natur des Leibes zu entrinnen und war nichts als eine in
Beschaulichkeit selige Seele. Die Natur bedeutete ihm Fallstrick
und Unflat; er setzte seine Ehre darein, ihr Gewalt anzutun, sie
gering zu achten, sich zu entflecken von aller irdischen
Unsauberkeit. Vor der Welt ist der Gerechte sinnlos. Er betrachtete
sich als Erdverbannten. Nur die himmlischen Güter zog er in
Betracht und begriff nicht, wie einige Stunden vergänglicher
Freuden eine Ewigkeit aus
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