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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden
Autoren: West Morris L.
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Vorschuss zu enden. Mitunter enthielt ihr Gerede sogar einen Gran Wahrheit. Doch meist war es nichts als leeres Gewäsch.
    Auch andere Dinge versuchten sie ihm anzudrehen: Warnungen vor Attentaten auf sein Leben, Namen und Adressen von Leuten, die ihn schützen könnten. Er verübelte es ihnen nicht allzu sehr. In Italien mußte jeder sehen, wie er zurechtkommen konnte, sei es nun, daß er bei Presseleuten mit Nachrichten hausieren ging oder bei reichen Witwen mit seinem männlichen Charme.
    Ashley regte das nicht allzu sehr auf. Seine Geschichte war so fest und sicher aufgebaut, daß nur eine Katastrophe sie erschüttern konnte.
    Das sagte er sich, während er in seinem Stuhl saß, seinen Martini schlürfte und noch einmal das Manuskript durchblätterte. Dennoch konnte er sich eines leisen Unbehagens nicht erwehren.
    Noch einmal wog er die Bedeutung von Robertos Nachricht ab:
    »Der Mann, der Sie besuchen wird, ist ein Lügner und Betrüger.«
    Das war nichts Neues. Garofano war eine billige Krämerseele: Er handelte mit gestohlenen Dokumenten. Er mußte ein Lügner und Betrüger sein. Aber die Dokumente waren echt genug. Ashley hatte sie gesehen und genau studiert. Sie passten wie Mosaiksteine in den Rahmen seiner Beweisführung.
    »Nehmen Sie, was er Ihnen anbietet, aber trauen Sie ihm nicht über den Weg …«
    Was Garofano zu bieten hatte, war ein durchaus kompakter Gegenstand: Photokopien von Dokumenten, die Ashley bereits untersucht und für echt befunden hatte. Die Möglichkeit einer Fälschung war ausgeschlossen. Die Frage des persönlichen Vertrauens stand hier gar nicht zur Debatte.
    Es blieben überhaupt nur zwei Fragen von einiger Bedeutung offen: die Identität des Boten und der Grund für die Warnung. Aber auch auf sie gab es eine offenkundige Antwort – die Sucht nach Profit! Fünftausend Lire ließen sich bequem in zwei Teile teilen: die eine Hälfte für den Barkeeper, die andere für irgendeinen schmierigen Patron, der irgendwo irgendwelchen Klatsch aufgeschnappt hatte: Der ›Scrittore Americano‹ kauft etwas von Enzo Garofano. Lass ihm eine freundschaftliche Warnung zukommen, und wir teilen uns die Belohnung. Eine einfache Form des Spieles, das die Neapolitaner la combinazione nennen.
    Ashley grinste. Er fühlte sich schon wieder besser. Dann kam ein Page mit dem Telegramm.
    Ashley gab ihm ein Trinkgeld und riß den gelben Umschlag auf. Der Text war kurz und sachlich: ZWEITAUSEND DOLLAR FÜR INFORMATION GENEHMIGT STOP BETRAG BEI AMERICAN EXPRESS VERFÜGBAR STOP RATE GESCHÄFT ABZUSCHLIESSEN STOP HANSEN.
    Gut! Lächelnd zerknüllte er das Telegrammformular und schob es in die Tasche. Rom hatte das Geld bewilligt. Nun brauchte er nichts zu tun, als auf Enzo Garofano zu warten. Er kippte den Rest seines Martinis hinunter und trat hinaus auf die Terrasse ins grelle Sonnenlicht.
    Roberto beobachtete ihn mit kühler Nachdenklichkeit.
    Auch das Mädchen beobachtete ihn.
    Die Blondine sah seine harten, schmalen Züge, seine kraftvolle Erscheinung, seine nervigen Hände und seinen lockeren Gang. Sie sah, wie er sich über die Balustrade beugte und den Blick über die leuchtend bunten Badehütten gleiten ließ, über die in der Sonne schmorenden Körper, weit hinaus über das blaue Meer bis zu den dunstigen Umrissen von Neapel, Ischia und Procida. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der mit sich und der Welt einig war, eines Mannes, der Herr über seine Zeit sein mußte.
    Es gab gute Gründe dafür, meinte die Blonde, daß er etwas von dieser Zeit mir ihr verbringen sollte. Die Ellbogen aufgestützt, lehnte sie sich gegen die Balustrade, als stünde sie einem Photographen Modell. Dann warf sie sich ihre grellbunte Badejacke über die Schultern, um so seine Aufmerksamkeit zu erregen. Als er sich ihr zuwandte, begegnete er ihrem Lächeln.
    »Hallo – guten Tag!« sagte er auf englisch.
    »Buon giorno. Va bene cosi nel sole!«
    Die italienische Antwort überraschte ihn. Wegen ihrer Blondheit und der honigfarbenen Sonnenbräune hatte er sie für eine Ausländerin gehalten – für eine Amerikanerin vielleicht, oder eine Schwedin, oder eine Deutsche vom Rheinland.
    »Italiana?«
    »Si, Italiana. Da Roma.«
    Sie lächelte und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu ihr ans Ende der Terrasse zu kommen. Aus Rom? Das konnte alles mögliche bedeuten: Venedig, Trient, Florenz, Pisa. Die blonden Lombarden hatten sich über die ganze italienische Halbinsel ausgebreitet.
    Italienisch zu sprechen war kein
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