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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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ihre Mutter. Ihr Herz wollte ihr schier die Brust sprengen vor Aufregung, als jemand dicht neben ihnen vom Pferd sprang und seine Schwertspitze in den Sand bohrte.
    »Sicher wisst Ihr …«
    »Sicher werdet Ihr Erbarmen mit uns Schiffbrüchigen haben. Gott wird Eure Hände dafür segnen«, unterbrach eine Frauenstimme den Ankömmling. Der Wind hatte für einen Moment nachgelassen, um die klare Stimme ihrer älteren Schwester auf leichten Händen tragen zu können. Es wurde still. Das Schwert fiel in den Sand. Vorsichtig hob Christina den Kopf. Vor ihr stand ein Mann, ein Riese in kriegerischer Gewandung mit glänzenden Eisenstulpen bis zu den Ellbogen, und starrte Margaret von England an, als hätte sich ihm eine Erscheinung gezeigt. Das nasse Kleid hing ihr in Fetzen von den Schultern herab, die der Mantel nur ungenügend verbergen konnte, und der Wind ließ ihr goldblondes Haar wie lange, elegante Finger über diese Schultern tanzen. Die Augen des Mannes saugten sich förmlich an der nackten, weißen Stelle fest. Auf ihrem Gesicht erschien ein winziges, verächtliches Lächeln, als sie das erkannte, und mit einer ruhigen Bewegung zog sie den Mantel ein Stück höher, um weiteren lüsternen Blicken zuvorzukommen.
    »Vielleicht könnt Ihr uns verraten, an welche Küste der Sturm uns verschlagen hat?«, fragte sie, als er sich immer noch nicht bewegte. »Vielleicht sprecht Ihr unsere Sprache? Sprecht Ihr Lateinisch? Griechisch? Französisch? Angelsächsisch? Dänisch?« Mühelos strömten ihr die fremden Worte über die Lippen. Schließlich legte sie die Unterarme übereinander, fügte hinzu: »Ungarisch …?« und wartete ruhig auf eine Antwort.
    Christina hielt den Atem an. Mit ihrem langen, blonden Haar und den tiefblauen Augen war ihre Schwester selbst in diesen schmutzigen Lumpen und erschöpft von den Strapazen der Sturmnacht noch wunderschön, doch noch nie hatte sie erlebt, dass es einem Ritter derart die Sprache verschlug! Langsam richtete sie sich auf, ohne die Hand von der schluchzenden Mutter zu nehmen. Der Reiter verschlang Margaret mit Blicken, bis ihm wohl auffiel, wie ungehörig das war.
    »Ich – ähm.« Der Mann bemerkte, dass ihm sein Schwert abhandengekommen war. Hastig bückte er sich und hob es auf. Offenbar war es ein magisches Schwert, denn kaum umschloss seine Hand den Knauf, fand der Mann die Sprache wieder – ein höfisches Angelsächsisch mit spaßigem Akzent, aber gut zu verstehen.
    »Edinburgh, hlæfdige . Dort, hinter den Hügeln. Ihr seid in … in Lothian … ähm, der Sturm hat Euch … also … die Küste …«
    Margaret lächelte nachsichtig und neigte den Kopf. »Edinburgh in Lothian also, habt Dank.«
    »Ja, Edinburgh. Man kann es … also … die Residenz … wir haben … sicher seid Ihr … wir können …« Er stocherte mit der Schwertspitze im Sand herum und stampfte die Löcher mit dem Fuß wieder zu. Christina wusste mit einem Mal, dass sie ihn irgendwoher kannte. Diese breite Stirn, die eigenwillige Adlernase und die Wirbel, welche die Barthaare am Hals formten. Die dicken Adern am Hals, die noch mehr anschwollen, wenn die Wut ihn packte. Sie kannte ihn. Und Margaret kannte ihn auch. Aufgeregt über ihre Entdeckung kaute sie auf der Unterlippe, versuchte Margarets Blick aufzufangen, doch die tat ihr nicht den Gefallen, zu ihr hinüberzuschauen. Stattdessen stellte sie sich noch ein wenig aufrechter hin und deutete auf das Durcheinander am Schiffswrack.
    »Vielleicht kann man uns ein paar Decken und Felle bringen und etwas zu essen für die Verletzten. Die meisten von uns sind sehr erschöpft und haben keine Kraft mehr. Und einen Priester, unser Beichtvater ist ertrunken …«
    Ein lauter Schrei unterbrach sie. »Margaret, wie kannst du es wagen! A rìgh – vergebt, wenn man Euch nicht gebührend begrüßt hat!« Schritte auf dem Sand ertönten, dann stürzte ein junger Mann auf die Gruppe zu und blieb vor dem Bewaffneten stehen. Von seinem dichten braunen Schopf tropfte ihm Wasser auf die Schultern, die durchweichte Lederkleidung hing schwer an seinem athletischen Körper herab. In der Hand trug er immer noch den Stab, mit dem er wohl im Schilf nach Überlebenden gesucht hatte. Nach kurzem Zögern beugte er vor dem Ritter das Knie. Christina fand, dass ihr Bruder Edgar viel zu lange damit zögerte und dass er sich viel ungehöriger als Margaret benahm. Wer auch immer dieser Ritter vor ihnen war, die Situation kam ihr zu undurchsichtig vor, um hier mit Hochmut
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