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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern
Autoren: Katja Maybach
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dass die Mitarbeiter das Benehmen des Designers ungewöhnlich fanden und ihn befremdet beobachteten. »Bérénice Mouret. Ich arbeite seit vier Jahren für Ihr Haus.« Sie wurde unruhig. Was wollte er von ihr?
    »Ich weiß, ich weiß«, murmelte er. »Ich bewundere jedes Mal Ihre Arbeiten, sie entsprechen genau meinen Visionen. Aber sagen Sie … Bérénice, wo kommen Sie her? Sind Sie in Paris aufgewachsen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme aus Saint-Emile, einer kleinen Stadt in der Provence. Warum wollen Sie das wissen?«
    »Saint-Emile«, wiederholte er nervös, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Saint-Emile, ja, ja … genau. Wie ist Ihr Mädchenname?«
    »Vanessa ist hier.« Die Stimme von Raul, Maximes Assistenten, überschlug sich fast. »Sie hat nur zwei Stunden Zeit, dann muss sie zum Flughafen. Bitte, Maxime, wir müssen die Anprobe mit ihr machen.«
    Mit einer Handbewegung brachte Maxime seinen Assistenten zum Schweigen.
    »Aubry«, antwortete Bérénice, die auf seine Frage einging, um den launischen Designer nicht zu verärgern, der nervös mit einer der Organzablüten herumspielte. Bérénice spürte, dass ihn etwas beschäftigte und völlig aus der Fassung gebracht hatte …
    »Fleur«, flüsterte er, »Fleur …«, und sah sie an.
    »Maxime, bitte!« Rauls Stimme kletterte die Skala der Hysterie ganz nach oben, doch der Designer beachtete ihn nicht.
    »Wunderschön, ich habe mich schon oft gefragt, wer diese Künstlerin ist, die solche kleinen Meisterwerke kreiert.« Malraux’ Hände zitterten, und in Gedanken schien er weit fort zu sein. Immer noch drehte er eine der Blüten in seiner Hand und zerrte nervös an den winzigen kleinen Perlen, mit denen sie besetzt war. Abrupt hob er den Kopf. »Nun, meine liebe Bérénice Mouret, Sie werden es nicht bereuen, für mich zu arbeiten, das verspreche ich Ihnen.«
    »Maxime! Bitte!«
    Jetzt löste sich der Designer vom Tisch und ging zu den Wartenden, und Bérénice begriff, dass sie entlassen war. Keiner beachtete sie mehr, alle scharten sich um das Model Vanessa, das in der Mitte des Raums stand und in ein schwarzes Abendkleid aus zartem Chiffon schlüpfte, an das Camilla, die langjährige Chefdirektrice des Hauses Malraux, die Organzablüten befestigte.
    Unter der Tür drehte sich Bérénice rasch noch einmal um und fing einen nachdenklichen Blick von Maxime auf. Doch als sie ihm zum Abschied zunicken wollte, wandte er sich rasch ab.
    Sie werden es nicht bereuen …
Malraux’ Worte gingen Bérénice nicht aus dem Kopf, während sie langsam die Treppe hinunterging. Was hatte dieser launische Künstler, der längst den Zenit seiner Karriere überschritten hatte, damit gemeint? Was würde sie nicht bereuen?
    *
    »Hippolyte?«
    Als es still blieb, schlüpfte Bérénice rasch aus ihren hohen Schuhen, lief durch den Wohnraum und stieß die Tür zum Schlafzimmer auf.
    »Hallo?«
    Ungläubig stellte sie fest, dass sämtliche Sachen ihres Mannes fehlten. Die Tür seines Schranks stand weit offen, er war komplett leer, auch sein Koffer und die große Leinentasche fehlten. Bérénice versuchte, durchzuatmen und sich zu beruhigen. Noch am Morgen hatte Hippolyte das Gespräch mit ihr gesucht, doch sie hatte ihn abgewehrt. Aber musste er nicht wissen, wie sehr sie unter Druck gestanden hatte? Hippolyte hatte seinen Job vor zwei Wochen aufgegeben und mehrmals von Plänen gesprochen, die noch nicht wirklich spruchreif seien. Ratlos sank Bérénice auf das breite Bett und schob den achtlos hingeworfenen Bademantel zur Seite. Dabei erfühlte sie ein Kuvert. Verwundert ergriff sie es, doch ihre Hand fing an zu zittern, und ihr Herz raste. Reglos blieb sie sitzen, ahnte bereits, was Hippolyte ihr geschrieben hatte. Er zog die Konsequenz aus ihrer Unversöhnlichkeit, setzte einer quälenden Ehe ein Ende. Lange sah sie auf den Brief hinunter, drehte und wendete ihn zwischen ihren Fingern, bis sie ihn mit einem Ruck öffnete.
     
    Ma chère Bérénice,
    nie sind wir glücklich geworden in Paris, der Stadt, der ich nichts abgewinnen konnte und die mir und uns keinen Segen brachte.
    Vor einer Woche habe ich mit meinem alten Freund Bernard gesprochen. Er hat mir erzählt, dass das Weingut, unser Maison Bleue, zum Verkauf steht. Du weißt, Bernard ist inzwischen Leiter der größten Bank in Saint-Emile, und er gibt mir einen Kredit, damit ich das Gut zurückkaufen kann. Es scheint ziemlich heruntergewirtschaftet zu sein, doch ich bin überzeugt, ich kann es schaffen.
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