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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern
Autoren: Katja Maybach
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Darin sehe ich die Aufgabe meines Lebens.
    Bérénice, heute Morgen wollte ich Dich fragen, ob Du mit mir gehen willst. Aber Deine Ablehnung mir gegenüber hat mir gezeigt, dass diese Frage sich erübrigt hat.
    Liebe kann verzeihen, doch Du konntest es nicht.
    Also habe ich endlich den Mut gefunden zu erkennen, dass unsere Liebe vorbei ist und dass ich allein gehen muss.
    Hippolyte
     
    Bérénice ließ sich langsam auf die Kissen zurückfallen, den Brief an sich gepresst. Hippolyte hatte sie verlassen. Während ihrer Abwesenheit hatte er sich heimlich, still und leise davongeschlichen. Doch Bérénice empfand nichts, gar nichts. Wut oder Schmerz wollten sich nicht einstellen. Sie war einfach nur müde nach der schlaflosen Nacht, in der sie durchgearbeitet hatte. Sie horchte der Stille in der Wohnung nach, lauschte angestrengt auf den Lärm, der gedämpft von der Straße herauf bis zum vierten Stock drang. Irgendwann läutete das Telefon, dann wurde es wieder still, bis es erneut anfing und so lange klingelte, bis Bérénice mit müder Hand nach dem Hörer griff.
    Sie war enttäuscht, dass es nicht Hippolyte war, sondern ein Henri Meyer aus der Vertragsabteilung von Maxime Malraux:
    »Monsieur möchte Ihnen ein Angebot machen, sind Sie daran interessiert?«
    »Was für ein Angebot?« Bérénice verstand nicht.
    »Monsieur schlägt Ihnen einen festen Vertrag vor. Sie bekommen ein eigenes Atelier in unserem Haus mit mehreren Stickerinnen, die für Sie arbeiten werden. Das Gehalt ist sehr großzügig, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben«, fügte Henri Meyer hinzu, da Bérénice, völlig überrumpelt von diesem Vorschlag, schwieg. Seit vier Jahren arbeitete sie für den Designer, bekam wenig Geld und erntete kaum Anerkennung.
    »Wieso so plötzlich?«, fragte sie misstrauisch, sie konnte es nicht begreifen. Heute Morgen war sie Maxime Malraux zum ersten Mal begegnet, und schon bekam sie ein lukratives Angebot. »Wieso? Ich verstehe es einfach nicht.« Noch während sie dies sagte, wurde ihr plötzlich klar, was das bedeutete: keine Existenzsorgen mehr, keine Angst, wenn der Monat zu Ende ging und sie sich fragen musste, ob das Geld für die nächste Miete reichte.
    Meyers Stimme klang ein wenig genervt, als sie so zögernd reagierte. »Wahrscheinlich haben Sie Monsieur heute mit Ihrer Arbeit so überzeugt, dass er Ihnen dieses Angebot macht. Er sagte, dass er es Ihnen gegenüber bereits erwähnt habe. Wir schicken Ihnen in den nächsten Tagen einen Vertragsentwurf zu. Sie können sehr zufrieden sein, so ein großzügiges Angebot macht Maxime Malraux selten. Ehrlich gestanden, habe ich einen solchen Vertrag noch nie aufgesetzt, und ich arbeite bereits seit fünfzehn Jahren für ihn.«
    »Ja natürlich, danke. Ich freue mich.« Bérénice blieb einsilbig, und als sich Henri Meyer schon längst verabschiedet und aufgelegt hatte, saß sie noch immer auf dem Bett, den Hörer in der Hand.
    Irgendwann erhob sie sich endlich und schlüpfte aus ihrem Kleid, brühte sich in der Küche einen Tee auf, stellte Kanne und Tasse auf ein Tablett und ging damit ins Wohnzimmer. Als sie sich aufs Sofa setzte, spürte sie, wie müde sie war. Eingehüllt in ihre warme Decke, dämmerte sie in einen leichten Schlaf hinüber, doch immer wieder schreckte sie hoch, da sie glaubte, Hippolyte sei zurückgekommen.
    Und so verstrich langsam der Tag. Es wurde Abend, und Bérénice hatte nicht die Kraft, den Arm auszustrecken und die Lampe neben dem Sofa anzuknipsen. So kam der Moment, in dem der Schmerz sie überwältigte. Heftiger, durchdringender, als sie erwartet hatte.
    Erneut klingelte das Telefon, und wieder ließ sie es lange läuten, bis sie endlich abhob. Es war ihre Mutter Denise, und Bérénice unterdrückte den Impuls, einfach aufzulegen.
    »Maman? Was gibt’s?«
    »Was es gibt?«, wiederholte Denise. »Seit Wochen höre ich nichts von dir, und du fragst mich, was es gibt?« Vorwurf schwang in Denise’ Stimme mit. »Ist irgendetwas passiert, das ich wissen sollte?«
    Von einer Sekunde zur anderen entschied sich Bérénice, nichts von Hippolyte zu erzählen, und so berichtete sie über das Angebot von Maxime Malraux. »Er ist einer der berühmtesten Designer Europas«, setzte sie erklärend hinzu.
    »Maxime Malraux?« Denise wiederholte den Namen, während sie jede Silbe, schwer atmend, langsam betonte.
    »Maman?«, rief Bérénice besorgt in den Hörer. »Geht es dir gut?«
    »Natürlich. Wieso sollte es mir schlechtgehen?« Die Antwort
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