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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden
Autoren: Sarah Bryant
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Maman!«
    Sie zieht Elizabeths Hochzeitskleid vom Bett und streift es über ihr Nachthemd, dann öffnet sie die Tür und tritt in den dämmrigen Korridor hinaus. Die Stimme schlägt in ein unzusammenhängendes hysterisches Gebrabbel um, aus dem nur einige wenige Worte deutlich herauszuhören sind.
    »Sie beobachten mich … finde keinen Frieden … bedecke sie, Elizabeth, deck sie zu…«
    Eve schließt die Tür hinter sich, und das Gewimmer verklingt.

1. Kapitel
    I ch habe keinerlei Kindheitserinnerungen an die Gesich ter meiner Eltern. Mein Vater verließ meine Mutter, als ich ein Baby war, meine Mutter starb drei Jahre später an Tuberkulose. Ich trage es keinem von ihnen nach, dass sie mich allein zurückließen, denn letztendlich ersparten sie mir so ein Leben in Armut in der schäbigen Kleinstadt, wo meine Mutter Musik unterrichtete und mein Vater in der Kirche die Orgel spielte, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen.
    Kurz nach der Beerdigung meiner Mutter erfuhr ich, dass ich doch nicht ganz ohne Verwandtschaft dastand, wie sie mich hatte glauben lassen. Sie war noch keinen Tag unter der Erde, als ihr Vater William Fairfax in meine aus Schmutz und Elend bestehende Welt trat. Meine erste Erinnerung an ihn ist die an seine Arme, die nach Pfeifenrauch, Leder und etwas subtiler nach Wohlstand rochen, was ich damals allerdings nur als etwas Fremdartiges, Unbekanntes wahrnahm. Er hob mich hoch, sodass er mir in die Augen sehen konnte, und erklärte mir, meine Mutter sei vor Kummer gestorben, so wie ihre Mutter vor ihr. Bei einer solchen Familiengeschichte, so sagte er, liefe ich Gefahr, in dieselbe Melancholie zu verfallen und solle daher daran arbeiten, diesem Schicksal zu entgehen, indem ich versuchte, mein Leben nach Kräften zu genießen. Obgleich ich kein Wort verstanden hatte, nickte ich und versprach, mein Bestes zu tun. Seine Antwort - ein Lächeln - leitete den Beginn einer glücklichen Zeit für mich ein.
    Dank meines Großvaters blieb mir ein Leben wie das meiner Mutter in Armut erspart, erst viel später begriff ich,
dass auch sie ein solches Leben nicht hätte führen müssen. Am Ende des 19. Jahrhunderts war William Fairfax der reichste Mann Neuenglands. Noch vor seinem zwanzigsten Geburtstag hatte er ein beträchtliches Erbe an der Börse in ein kleines Vermögen verwandelt. Fünf Jahre später heiratete er die Alleinerbin einer Plantage in Louisiana. Wenn er eine Mauer des Schweigens zwischen sich und seiner Tochter errichtete, als diese mit meinem Vater durchbrannte, so bestand diese Mauer vor ihrem Tod nur noch aus ihrer eigenen Halsstarrigkeit und ihrem Stolz. Die einzigen harten Worte, die er in meiner Erinnerung in meiner Gegenwart über sie fallen gelassen hatte, konnte man kaum als solche bezeichnen. Statt sie bei ihrem Vornamen oder ›meine Tochter‹ zu nennen bestand er darauf, von ihr nur als ›Eleanors Mutter‹ zu sprechen, als ob sich ihr Wert ausschließlich durch mich definieren würde.
    Ich sah wenig Grund, ihm deswegen Vorwürfe zu machen. Mit der Schönheit meiner Mutter und einem Talent gesegnet, das aus einer Reihe musikalisch außergewöhnlich begabter Vorfahren resultierte, wuchs ich verwöhnt und schon frühzeitig mit Lob überschüttet auf. Mein Großvater war alles andere als der Despot, als den ich ihn bei unserer ersten Begegnung eingeschätzt hatte, sondern erwies sich als freundlicher, umgänglicher, etwas exzentrischer Mann, der mir weitaus mehr Nachsicht entgegenbrachte, als ich verdiente. Während der meisten Zeit meiner Kindheit nahm ich seine Güte als etwas hin, was mir rechtmäßig zustand, erzielte keine überragenden Noten auf den teuren Schulen, die er für mich bezahlte, wurde ständig getadelt und bestraft und lief ein Mal sogar fort, woraufhin er meine selbstgerechte Empörung mit liebevollen Worten und Versprechen beschwichtigte. Das einzige Gebiet, auf dem ich mich hervortat, war die Musik, was für ihn zu meinem Glück meine sonstigen Fehler alle aufwog.

    Meine Kindheit verlief wie das Märchen, von dem jedes kleine Mädchen träumt. Zu Anfang des Jahrhunderts glich Boston einer Bilderbuchstadt; es war eine Metropole aus pfefferkuchenbraunen Backsteinen, weitläufigen Parks und Kopfsteinpflasterstraßen, über die kaum je ein Auto rumpelte - Motorfahrzeuge waren damals noch eine Seltenheit. Wir wohnten in einem Stadthaus in der Beacon Street, von dem aus man auf eine Ecke des Public Garden blickte. Mein Kinderzimmer lag im obersten Stock des Hauses
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