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Die Stimmen von Marrakesch

Die Stimmen von Marrakesch

Titel: Die Stimmen von Marrakesch
Autoren: Elias Canetti
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sehr empört und widersprach ihm heftig. »Das gibt's nicht, das ist unmöglich.«
    »Sie wissen nicht, wie es hier zugeht«, sagte er. »Sie müßten sich ein wenig das Nachtleben in Marrakesch ansehen. Ich lebe schon lange hier. Als ich zuerst herkam, das war während des Krieges, da war ich noch ein Junggeselle« - er warf einen flüchtigen, aber feierlichen Blick zu seiner ältlichen Frau hinüber, die wie immer an der Kasse saß -, »da war ich mit ein paar Freunden, und wir haben uns das alles angesehen. Da wurden wir einmal in ein Haus geführt, und kaum hatten wir uns gesetzt, da waren wir gleich von einer Menge nackter kleiner Mädchen umgeben. Die kauerten sich zu unseren Füßen und drückten sich von allen Seiten an uns, sie waren nicht größer als die draußen, manche kleiner.«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Es gab nichts, was man nicht haben konnte. Wir haben's uns gut gehen lassen und unseren Spaß haben wir auch oft gehabt. Einmal haben wir uns einen großartigen Streich geleistet, das muß ich Ihnen erzählen. Wir waren zu Dritt, drei Freunde. Einer von uns ging zu einer Fatma in ihr Zimmer« - so nannten Franzosen verächtlich eingeborene Frauen-, »das war aber kein Kind, und wir zwei anderen sahen von außen durch ein Loch ins Zimmer hinein. Erst verhandelte er lange mit ihr, dann einigten sie sich über den Preis und er gab ihr das Geld. Sie steckte es in ein Nachttischchen, das neben dem Lager stand. Dann machte sie dunkel und die beiden legten sich zusammen hin. Wir hatten von außen alles mit angesehen. Sobald es dunkel war, schlich sich einer von uns in die Kammer hinein, ganz leise und kroch bis zum kleinen Nachttisch. Er steckte die Hand vorsichtig in die Lade, und während die beiden ihr Geschäft verrichteten, nahm er das Geld zurück. Dann kroch er rasch wieder heraus und wir rannten beide davon. Bald kam unser Freund nach. Er war so umsonst bei der Fatma gewesen. Sie können sich vorstellen, wie wir lachten! Das war nur einer von unseren Streichen.«
    Wir konnten es uns vorstellen, denn er lachte aus vollem Halse, er schüttelte sich vor Lachen und riß den Mund weit auf. Wir wußten gar nicht, daß er einen so großen Mund hatte, wir hatten ihn noch nie so gesehen. Er pflegte sonst mit einiger Würde in seinem Restaurant hin und her zu gehen und nahm die Speisen seiner bevorzugten Gäste mit Anstand und vollkommener Zurückhaltung auf, so als wäre es ihm ganz gleichgültig, was man bestelle. Die Ratschläge, die er gab, waren nie aufdringlich und klangen so, als würden sie allein dem Gast zuliebe gegeben. Heute hatte er jede Reserve verloren, er jubelte über seine Geschichte. Es muß eine herrliche Zeit für ihn gewesen sein; und er tat nur eines, was an sein sonstiges Gehaben erinnerte. Mitten in seiner Erzählung näherte sich ein kleiner Kellner unserem Tisch. Er schickte ihn barsch mit einem Auftrag weg, damit der nicht höre, was er uns erzähle.
    Wir aber gefroren zu Angelsachsen. Meine beiden Freunde, von denen der eine ein Neuengländer, der andere ein Engländer war und ich, der ich seit fünfzehn Jahren unter ihnen lebte, hatten dasselbe Gefühl verächtlichen Ekels. Wir waren auch gerade unser drei, es ging uns zu gut, und vielleicht fühlten wir uns irgendwie schuldig für die ändern drei, die mit vereinten Kräften eine armselige Eingeborene um ihren Lohn geprellt hatten. Er hatte es strahlend und stolz erzählt, er sah nur den Spaß darin, seine Begeisterung hielt an, als wir mit sauren Mienen lächelten und verlegen Beifall nickten.
    Die Türe war noch immer offen, die Kinder standen draußen, erwartungsvoll und geduldig. Sie fühlten, daß sie während seiner Erzählung nicht verjagt werden würden. Ich dachte daran, daß sie ihn nicht verstehen konnten. Er, der mit solcher Verachtung für sie begonnen hatte, hatte sich in kürzester Zeit selber verächtlich gemacht. Ob er sie verleumdete oder ob er die Wahrheit über sie sprach, was immer die Bettelkinder taten, er stand nun tief unter ihnen und ich wünschte mir, daß es doch eine Art der Strafe gäbe, wo er auf
ihre
Fürsprache angewiesen wäre.

 

DIE LUST DES ESELS
    Von meinen nächtlichen Spaziergängen durch die Gassen der Stadt pflegte ich über die Djema el Fna zurückzukehren. Es war sonderbar, über den Platz zu gehen, der nun beinahe leer dalag. Da gab es keine Akrobaten mehr und keine Tänzer; keine Schlangenbeschwörer und keine Feueresser. Ein Männchen hockte mutterseelenallein am
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