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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes
Autoren: Catherine Coulter
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Männer hatten ihm lachend auf die Schulter geklopft und seine tüchtige Rute gerühmt.
    Daria hob den Kopf. Jetzt endlich fielen Schneeflocken vom Himmel und bedeckten Drake, seine Männer und die Fuhrwagen mit reinem Weiß. Henrietta strauchelte. Begütigend tätschelte ihr Daria den Hals. Ob Ralph sie wohl auch zweimal am Tag mißbrauchen würde?
    Drake drehte sich im Sattel um und rief ihr zu, sie würden bald die Zisterzienserabtei von Grainsworth erreichen, um dort zu übernachten.
    Kurz darauf waren sie gezwungen, im Gänsemarsch zu reiten, denn die Straße wurde sehr eng. An beiden Seiten erhoben sich große Felsen und herabgestürzte Steinblöcke.
    Der Überfall verbreitete um so mehr Schrecken, als Drake und das Dutzend seiner Männer den Feind nicht sehen konnten. Eine Verteidigung war bei ihrer langgezogenen Formation nicht möglich. Die Pferde wieherten und keilten vor Entsetzen aus. Die Männer fielen einer nach dem anderen unter dem Pfeilhagel, der sich aus der Deckung der Felsen auf sie ergoß. Auch die Rüstungen, die einige der Männer trugen, boten keinen Schutz, denn früher oder später fand doch ein Pfeil sein Ziel am Hals oder Kopf. Sie hatten in dem dichten Schneegestöber keine Chance gegen den unsichtbaren Feind.
    Nach dem ersten Schreck empfand Daria merkwürdigerweise keine Angst mehr. Im innersten Herzen wußte sie, daß der Tod sie nicht ereilen würde. Erst als nur noch Daria und ihre Zofe Ena übriggeblieben und die Schreie der Getroffenen verstummt waren, kamen die Angreifer aus ihren Verstecken. Alle waren unversehrt, und lachend feierten sie den leichten Sieg. Am lautesten lachte ihr Anführer, ein hochgewachsener Mann. Daria erkannte ihn als Anführer sofort - so, wie er seine Männer anwies, die Toten zu berauben, ihre Pferde einzusammeln und die Wagen zu plündern.
    Dann nahm er den Helm ab. Er hatte so feuerrotes Haar, wie sie es noch nie gesehen hatte.

1
    Burg Reymerstone, Essex, England, nahe der Nordsee Anfang Mai 1275
    Roland de Tournay fand leicht zum Sitz des Grafen von Reymerstone. Die Burg beherrschte die felsübersäte Landzunge am Thigby, der eine Meile weiter in die Nordsee mündete. Der Urgroßvater des jetzigen Grafen hatte die Burg im normannischen Stil erbaut. Noch immer war sie mehr Festung als behagliches Heim. Doch hatte der jetzige Graf vielen Kaufleuten die Taschen geleert, um die düstere graue Burg mit etwas Luxus auszustatten. Dicke Gobelins verdeckten die Steinwände. Es gab flandrische Teppiche in hellroter und königsblauer Farbe und schön gestickte Kissen für die drei Herrensessel. Aber die zwölf rohgefügten Tische mit den langen Bänken im großen Saal waren noch dieselben wie vor drei Generationen.
    Der große Saal von Reymerstone machte Eindruck auf Roland de Tournay, der dort auf das Erscheinen des Grafen Damon Le Mark wartete. Er zwinkerte einigen Bedienerinnen zu und erntete Kichern und verschmitztes Lächeln. Dann eilte eine Lady auf ihn zu. Sie war in den 30ern, mit stumpf roten Haaren und von kleiner Gestalt. Sie mußte einmal sehr hübsch gewesen sein. Jetzt sah sie verblüht, müde und niedergeschlagen aus. Sie sah sich vorsichtig um und ging dann mit dem raschen, leichten Schritt eines Mädchens auf ihn zu.
    »Ihr seid Roland de Tournay, Sir?« fragte sie leise mit kultivierter Aussprache.
    »Ja, Mylady. Ich komme auf Einladung des Grafen von Reymerstone, Eures Gatten.«
    »Er wird gleich hier sein. Im Augenblick ist er noch beschäftigt. Ich bin Lady Katherine of Fortescue, die Schwägerin des jetzigen Grafen. Sein Halbbruder war mein Mann.«
    »Euer Gatte war James of Fortescue? Ich habe gehört, daß er durch einen Unglücksfall im Turnier ums Leben kam. Es tut mir sehr leid, Mylady.«
    Sie nickte mit gebeugtem Kopf. Konnte sie ihm nicht ins Auge sehen? »Wißt Ihr, warum Lord Reymerstone mich gebeten hat, ihn aufzusuchen?«
    Sie blickte auf. Er sah die Anspannung in ihrem Blick. Aber dahinter verbarg sich noch etwas - vielleicht Angst. Er war sofort hellwach.
    »Es betrifft meine Tochter«, sagte sie schnell und packte ihn am Ärmel. »Ihr müßt mein Kind suchen und es sicher zurückbringen, ihr müßt! Ach, hier kommt er. Ich darf nicht bleiben. Ich muß gehen, Sir.« Sie war lautlos verschwunden, bevor der Graf sie entdecken konnte.
    Roland musterte den Grafen von Reymerstone. Ein hochgewachsener Mann Ende 30, schlank, mit vollen, weißblonden Haaren und sehr blassen, blauen Augen. Er sah wie jemand aus, der sein Ziel zu
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