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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE
Autoren: Jack Vance
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mein Tun richtig ist, und nun hältst du es für falsch.«
    T'sain zuckte die Achseln. »Ich lebe noch nicht lange und bin nicht sehr klug. Doch weiß ich, daß jeder ein Recht auf Leben hat. Turjan könnte es dir gewiß leicht erklären.«
    »Wer ist Turjan?« fragte T'sais.
    »Er ist ein sehr guter Mensch«, erwiderte T'sain, »und ich liebe ihn über alles. Wir werden bald zur Erde reisen, wo der Himmel weit und tiefblau ist.«
    »Erde… Wenn ich zur Erde reiste, könnte ich vielleicht dort Schönheit und Liebe finden?«
    »Das wäre möglich, denn du hast einen Verstand, der Schönheit begreifen kann, und bist selbst von großer Schönheit, um Liebe anzuziehen.«
    »Dann werde ich nicht mehr töten, gleichgültig, welche Schlechtigkeit ich sehe. Ich werde Pandelume bitten, mich zur Erde zu schicken.«
    T'sain trat an T'sais heran, legte ihre Arme um sie und küßte sie.
    »Du bist meine Schwester, und ich liebe dich.«
    T'sais' Gesicht erstarrte. Zerreiß, erstich, beiß sie, sagte ihr Gehirn, aber ein tieferes Gefühl brauste durch ihr Blut, das jede einzelne Zelle ihres Körpers erwärmte und ihr Antlitz vor innerer Freude erröten ließ. Sie lächelte.
    »Dann – liebe ich dich auch, meine Schwester. Ich werde nicht mehr töten. Und ich werde auf der Erde Schönheit finden oder sterben.«
    T'sais stieg auf ihren Rappen und machte sich auf den Weg zur Erde, um dort Schönheit und Liebe zu suchen.
    T'sain blieb an der Tür des Häuschen stehen und schaute ihr nach. Da hörte sie einen Schrei und sah Turjan auf sie zulaufen.
    »T'sain, hat diese wahnsinnige Hexe dir etwas angetan?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Jetzt ist es genug! Ich werde sie mit einem Zauber töten, daß sie kein weiteres Unheil mehr anrichten kann.«
    Er öffnete die Lippen zu dem schrecklichen Spruch des Verschlingenden Feuers, doch T'sain legte ihm schnell die Hand auf den Mund.
    »Nein, Turjan, das darfst du nicht! Sie hat versprochen, nicht mehr zu töten. Sie will zur Erde, um dort zu suchen, was sie in Embelyon nicht finden kann.«
    Also blickten Turjan und T'sain gemeinsam T'sais nach, die über eine bunte, ständig die Farben wechselnde Wiese verschwand.
    »Turjan?« sagte T'sain.
    »Ja, mein Herz?«
    »Wenn wir auf der Erde sind, wirst du mir dann ein so schwarzes Pferd schenken wie das von T'sais?«
    »Einen Rappen? Ja, das werde ich«, versprach Turjan ihr lachend, als sie Hand in Hand zu Pandelumes Haus zurückspazierten.
    2. Kapitel
    Mazirian, der Magier
    Tief in Gedanken versunken spazierte Mazirian, der Magier, durch seinen Garten. Bäume, deren Früchte berauschende Düfte ausströmten, streckten ihre Zweige wie ein Dach über seinen Weg, und die Blumen zu beiden Seiten verbeugten sich unterwürfig, wenn er an ihnen vorbeikam. Zwei Finger breit über dem Boden folgten die Augen von Alraunen, stumpf wie Achate, seinen Füßen in den schwarzen Pantoffeln. Und solcherart war Mazirians Garten: Auf drei Stufenterrassen wuchsen wundervolle, fremdartige Pflanzen. Manche schillerten in ständig wechselnden Farben. Andere reckten ihre Blütenköpfchen empor, die wie Seeanemonen purpur, grün, lila, rosa und gelb pulsierten. Bäume, die aussahen wie Sonnenschirme aus Federn, waren hier zu finden; solche, deren durchsichtige Stämme von gelben und roten Adern durchzogen waren; andere mit Laub wie aus Metallfolie, jedes Blatt von einem anderen Metall – Kupfer, Silber, blaues Tantal, Bronze, grünes Iridium. Blüten wie Seifenblasen strebten empor, umrankt von grünen Blättern. Ein Strauch trug tausend flötengleiche Knospen, die sanft die Musik der alten Erde erklingen ließen, die Musik des rubinroten Sonnenscheins, des Wassers, das durch fruchtbaren Boden sickert, des schläfrigen Winds. Und jenseits der prächtigen Hecke bildeten die Bäume des Waldes eine geheimnisvolle Mauer. In dieser späten Stunde der sterbenden Erde gab es keinen Menschen mehr, der von sich behaupten konnte, er sei vertraut mit den Schluchten, Schneisen, schmalen Tälern, den verborgenen Lichtungen, zerfallenen Lauben, den sonnengeküßten Lustgärten, den Höhen und Tiefen, den Bächen, Fluten, Teichen, den Wiesen, Dickichten, Gestrüppen und Felswänden.
    Mit gerunzelter Stirn spazierte Mazirian durch seinen Garten. Langsam war sein Schritt, seine Arme hatte er mit verkrampfen Händen auf dem Rücken verschränkt. Es gab jemanden, der Verwirrung und Zweifel in ihm erweckt hatte, und ein schier übermächtiges Verlangen – ein bezauberndes
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