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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte
Autoren: Prevost Andre
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gleichzeitig in die Knie und ließ sich nach vorne schnellen. Jerrys Körper beschrieb einen wunderbaren Bogen in der Luft und krachte auf die Matte.
    »Ippon!«, schrie der Schiedsrichter.
    Donnernder Applaus brach los. Sam hatte gewonnen! Er rappelte sich ungläubig auf. Grandma warf ihm begeistert Kusshände zu, und Rudolf schien sprachlos. Doppelter Sieg für Sam: Drüben auf der Nordtribüne war Alicia Todds aufgesprungen. Ja, jetzt blickte sie ihn endlich an.
    Meister Yaku beglückwünschte ihn als Erster: »Was habe ich dir gesagt, Sam? Du musst dich nur ganz auf dich selbst verlassen! Du hast das Zeug, es bis ins Finale zu schaffen!«
    Sam nahm das Kompliment an, wobei er sich die Bemerkung verkniff, dass er sicher im Halbfinale aussteigen würde. Er hatte sein Soll bereits mehr als erfüllt!
    Die nächsten drei Viertelfinalkämpfe verfolgte er nur mit halbem Auge. Für ihn war die Sache gelaufen . . . Ronald Joly siegte nach einem erbitterten Kampf am Boden in der Gruppe B, und Monk qualifizierte sich, wie vorauszusehen war, gegen einen schwarzen Gürtel aus Fontana. Aber das alles schien für Sam überhaupt nicht mehr wichtig . . . Die Kämpfe der 11- bis 13-Jährigen interessierten ihn noch weniger, und er bereitete sich vollkommen entspannt darauf vor, zum Halbfinale anzutreten – und zu verlieren. Doch zwei Minuten vor Beginn kam auf einmal Jonathan Robin, der Schriftführer des Vereins, zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Faulkner! Ich habe eine gute Nachricht für dich: Du kommst direkt ins Finale!«
    Samuel zuckte zusammen.
    »Was?«
    »Ronald Joly hat sich eben am Boden verletzt – er muss sich die Schulter ausgekugelt haben. Jedenfalls hat er aufgegeben.«
    »Was?«
    »Bist du taub, Faulkner? Du bist im Finale!«
    Die Lautsprecheransage gab die Annullierung des Kampfes bekannt und kündigte die übrigen Halbfinalisten an – in diesem Fall Monk und den langen Blonden, die sich bereits im Eröffnungskampf miteinander herumgeärgert hatten. Sam saß wie betäubt da. Von seiner Bank aus sah er, wie die beiden aufeinander losgingen: zwei wilde Tiere, die wütend aufeinanderprallten und dabei heisere Laute ausstießen. Sam war nicht bereit, sich das anzutun! Irgendwann versuchte der lange Blonde, Monk hochzuheben; er stöhnte unter dem Gewicht laut auf, und man hörte deutlich irgendetwas krachen, wahrscheinlich die Rippen, ob Knochen oder nur Knorpel war kaum zu unterscheiden ... Der Angriff ging daneben, und die beiden kämpften unter wüsten gegenseitigen Beschimpfungen am Boden weiter. Der Schiedsrichter musste immer wieder einschreiten, damit sie sich nicht gegenseitig die Augen auskratzten!
    Samuel schloss die Augen. »Ich werde im Finale gegen Monk kämpfen müssen«, wiederholte er im Stillen immer wieder, »und da drüben sitzt Alicia . . . Monk wird mich fertigmachen, und Alicia wird es mit ansehen . . .« Als er die Augen wieder öffnete, lag Monk gerade auf dem Rücken, den Gegner zwischen die Beine geklemmt, und drückte so fest zu, dass der Arm des anderen fast schon blau anlief. Der große Blonde schlug ein paar Mal auf den Boden. Ich gebe auf, hieß das. Tosender Applaus brach los, und Bravorufe erschollen von allen Seiten. Samuel hatte nur noch wenige Minuten zu leben!
    Die letzte Viertelstunde vor dem Finale war besonders schlimm. Alle kamen und wollten ihm Mut machen oder ihm irgendwelche Ratschläge geben, während er gegen die Übelkeit kämpfte. Genauso ging es ihm nach seinen Reisen durch die Zeit . . . Überhaupt, der Sonnenstein, jetzt hätte er ihn gut gebrauchen können! Eine kleine Reise nach Japan, warum nicht, egal in welche Epoche. Doch er konnte noch so fest an den Stein und an die Sonne denken, es tat sich nichts! Er würde hier verenden, hier in der Sporthalle von Saint-Mary, vor der tosenden Menge!
    Er zog seine Schuhe aus und stieg auf die Matte, bereit zu sterben. In seinem weißen judogi und aus nur einem Meter Entfernung sah Monk noch beeindruckender aus als sonst. Wie eine Art Yeti . . . noch dazu ein Yeti, der sich die Lefzen leckte. Ja, Monk leckte sich tatsächlich die Lefzen. Gleich würde er Sam mit Haut und Haaren verschlingen!
    Samuel zwang sich, daran zu denken, was er sich vorgenommen hatte: unterliegen, vielleicht, aber hoch erhobenen Hauptes. Nicht vergessen, Alicia sah zu . . . Doch je mehr er sich konzentrierte, desto stärker hatte er den Eindruck, dass ein leichter Nebel seinen Blick verschleierte. Sicher sein Unterbewusstsein, dass nicht
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