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Die steinerne Pest

Die steinerne Pest

Titel: Die steinerne Pest
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schwamm. In
den wenigen Augenblicken, die er nach Astaroth gesucht
hatte, mußte der Turm endgültig vollgelaufen sein.
Panik drohte ihn zu übermannen. Mit aller Macht zwang
er sich zur Ruhe, tastete mit den Händen blind um sich
und fühlte plötzlich eine Leitersprosse unter den Fingern.
Er wußte, daß er der Leiter nur zu folgen brauchte, um die
offenstehende Luke zu erreichen und damit die
Wasseroberfläche. Der Sog war immer noch enorm, aber
wenn er sich von Sprosse zu Sprosse zog, konnte er es
schaffen.
Er versuchte es, doch seine Hände verweigerten ihm den
Dienst, und als er sie in dem trüben Wasser dicht vor das
Gesicht hielt, begriff er auch, warum. Seine Finger waren
zu Stein geworden. Und das unheimliche Geschehen setzte
sich rasend schnell fort. Mikes Lungen brannten bereits
vor Atemnot, und sein Herz hämmerte so schnell und
schwer, als wollte es in seiner Brust auseinanderspringen.
Aus entsetzt aufgerissenen Augen sah er zu, wie sich die
graue Färbung in seinen Händen ausbreitete, die Gelenke
erreichte und weiter seine Arme hinaufkroch; wie graue
Tinte, die sich in einem Stück Löschpapier ausbreitete.
Gleichzeitig wich alles Gefühl aus seinen Händen, den
Armen und schließlich den Schultern. Seine Lungen
schrien vor Schmerz. Wäre er in der Lage dazu gewesen,
hätte er in diesem Moment vielleicht den Mund geöffnet
und das tödliche Wasser eingeatmet.
Doch das konnte er nicht mehr. Die Lähmung hatte bereits seinen Hals erreicht und wanderte schnell und
unaufhaltsam weiter nach oben, in sein Gesicht und seinen
Kopf und hinab zu seinem Herzen. Als die Dunkelheit
schließlich kam, war es fast wie eine Erlösung. Er ertrank
nicht.
Seine Lungen brauchten keinen Sauerstoff mehr, denn
sie waren zu Stein geworden.
Als Mike die Augen aufschlug, hatte er das gleiche Gefühl, das man manchmal nach einem sehr langen, sehr
entspannenden Schlaf hatte: Er wußte, daß viel Zeit
vergangen war, und irgendwie erinnerte er sich auch an
alles, was in dieser Zeit gewesen war; wenn auch nicht so,
daß er es tatsächlich jemandem hätte erzählen können. Es
war, als wäre er tot, aber in Wirklichkeit doch nicht, oder
als schliefe er, ohne wirklich eingeschlafen zu sein. Es war
ein sehr unangenehmes Gefühl, gepaart mit dem sicheren
Wissen, daß er entsetzlich lange in diesem düsteren
Zwischenreich zwischen Leben und Tod geschwebt hatte.
Doch was eigentlich zählte, war, daß er überhaupt imstande war, diesen Gedanken zu denken. Die bloße Tatsache allein nämlich bewies, daß er noch lebte. Dabei
hätte er tot sein müssen - und sozusagen zweifach, hatte er
doch die Wahl zwischen Ertrinken und Versteinern
gehabt, und
Da gäbe es schon noch eine dritte Möglichkeit, flüsterte
eine wohlbekannte Stimme in spöttisch-herablassendem
Tonfall in seinen Gedanken. Du könntest dir zum Beispiel
einen Knoten ins Gehirn machen und auch noch dein
letztes bißchen Verstand verlieren. »Astaroth?« murmelte
Mike. Und dann schlug er mit einem Ruck die Augen auf,
setzte sich hoch und schrie mit vollem Stimmaufwand:
»Astaroth?!« Alles in der gleichen Sekunde, und das war
zu schnell, denn ihm wurde auf der Stelle schwindelig,
und er stürzte hilflos zur Seite. Leicht benommen
registrierte er, daß er in weichen Sand fiel, nicht auf harten
Stahl, und daß das Licht, das durch seine hastig wieder
geschlossenen Lider drang, offenbar das der Sonne sein
mußte, nicht mehr die künstliche Beleuchtung, wie sie an
Bord der NAUTILUS herrschte.
Ganz recht. Das ist dieser dämliche Name, den du mir
verpaßt hast. Zumindest scheinst du dich noch an deine
Schandtaten zu erinnern. Das gibt mir Hoffnung, daß
noch nicht alles zu spät ist.
Mike öffnete behutsam ein zweites Mal die Augen und
blickte direkt in ein schwarzes, einäugiges Katergesicht,
das nur noch Zentimeter von seiner Nasenspitze entfernt
war.
Und aus dem im nächsten Moment eine rauhe Katzenzunge herausschnellte, die quer über sein Gesicht
schleckte.
»He!« protestierte Mike. »Laß das gefälligst!« Er schob
Astaroth mit sanfter Gewalt von sich, setzte sich
vorsichtig wieder auf und sah sich um. Er befand sich auf
dem Strand, nur wenige Meter vom Meer entfernt, aber
doch in Sicherheit. Und er war ebensowenig tot und
versteinert wie Astaroth. Nicht daß er auch nur im
entferntesten verstand, warum das so war...
Hätte mich auch gewundert, wenn du irgend etwas verstanden hättest, flüsterte Astaroths telepathische Stimme
in seinen Gedanken.
»Aber wieso... stammelte Mike.
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