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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman
Autoren: Andreas Brandhorst
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…«
    »Jemand hat diese Stadt gebaut«, sagte Louise leise. »Und vielleicht nicht nur die Stadt.« Als sie Benjamins verblüfften Blick bemerkte, fügte sie hinzu: »Es gibt Theorien. Jeder macht sich seine Gedanken. Was letztendlich wahr ist … Wer weiß das schon? Früher hat Hannibal die Ressourcen des Supermarkts zu dem Versuch genutzt, den Dingen auf den Grund zu gehen, aber in letzter Zeit macht er das immer seltener. Er fügt sich, findet sich ab, wie viele der anderen Alteingesessenen. Je länger sie hier sind, desto weniger Fragen stellen sie, desto weniger denken sie nach.«
    Eine Zeit lang blickten sie schweigend hinaus und beobachteten die Dunkelheit zwischen den Gebäuden. Nirgends regte sich etwas; die beiden Schatten schienen tatsächlich verschwunden zu sein.
    »Wer ist Laslo?«, fragte Benjamin nach einer Weile.
    Diesmal war es an Louise, verblüfft zu sein. »Du kennst ihn?«
    »Du hast ihn erwähnt. Kurz nach meinem Erwachen.«
    »Tatsächlich?« Louise sah wieder nach draußen. »Laslo ist ein Arschloch. Einer von diesen Typen, die alles versprechen und nichts halten. Davon hab ich schon im Leben genug kennengelernt, und ich hatte gehofft, dass sie mir im Tod erspart bleiben würden.«
    Benjamin dachte an Kattrin und all die Dinge, die er ihr versprochen hatte.
    »Er wollte mich zur Bibliothek bringen«, fuhr Louise nach einigen Sekunden der Stille fort. »Angeblich kannte er einen
sicheren Weg. Ich habe mehrmals versucht, sie zu erreichen, aber ich musste immer wieder umkehren. Auch deshalb war ich auf der Suche nach dem Arsenal, als ich dich fand, Ben. Mit einer Waffe wäre es einfacher, zur Bibliothek zu gelangen. Was Laslo betrifft … Er bekam, was er wollte – mich –, und anschließend machte er sich auf und davon. Arschloch«, wiederholte sie.
    Benjamin spürte, dass sie damit nicht die ganze Geschichte erzählt hatte, aber er verzichtete auf weitere Fragen, schaute in die Nacht und dachte an Kattrin.
    Eine halbe Stunde später hörten sie in der Ferne ein Brummen, und Louise griff nach ihrem Rucksack. »Ich glaube, wir haben Glück«, sagte sie. »Das klingt nach einer Patrouille der Gemeinschaft.«
    Als sie durch die Kellertür nach draußen traten, sah Benjamin noch einmal zu den roten Worten zurück, die jetzt nicht mehr von Dante Alighieri stammten, sondern lauteten: Verlass die Stadt . Er blinzelte, und die ursprüngliche Schrift kehrte zurück. Darüber war die Spinne aus ihrer Ecke verschwunden.

5
    Sie fanden den Wagen dort, wo die Straße sich vor einem spitzwinklig zulaufenden Gebäude teilte: Rechts führte ein rissiges Asphaltband an dunklen Bürohäusern vorbei; links glänzte das regennasse gewölbte Kopfsteinpflaster einer schmalen Gasse zwischen Wohngebäuden, von dessen Wänden der Putz bröckelte. An der Gabelung standen wie vergessen Tische
und Stühle eines leeren Cafés, das Benjamin an ein Bistro in Paris erinnerte. Vor drei Monaten hatte er dort mit Kattrin gesessen, und während sie von der nahen Seine schwärmte, hatte er an ein neues Projekt seiner Firma gedacht und den Schein der untergehenden Sonne als störend empfunden, weil ihn das Licht blendete.
    So wie jetzt das Scheinwerferlicht des Wagens. Benjamin schirmte sich die Augen ab, als sie sich näherten, und Louise winkte mit beiden Armen. »He, ich bin’s!«, rief sie. »Hört ihr mich?«
    Die Fahrertür wurde geöffnet, und jemand stieg aus dem mit laufendem Motor wartenden Fahrzeug. Benjamin war noch immer geblendet und konnte keine Einzelheiten erkennen. »Louise? Was machst du denn hier? Ich dachte, du hättest dich auf der anderen Seite des Flusses niedergelassen.«
    »Hallo, Katzmann!«, rief Louise, die offenbar die Stimme erkannte. Und zu Benjamin: »Sie sind tatsächlich von der Gemeinschaft. Hätte mich auch stark gewundert. Die Streuner haben keine Wagen. Aber man kann nie wissen.« Lauter fügte sie hinzu: »Ich habe einen Neuen dabei. Könnt ihr uns zu Hannibal bringen?«
    Jemand schaltete von Fernlicht auf Abblendlicht um, und als sie noch etwas näher kamen, sah Benjamin, dass der Wagen schon bessere Zeiten erlebt hatte. Er schien aus den Resten mehrerer Fahrzeuge zusammengebastelt zu sein. Die vordere Stoßstange war krumm, ein Kotflügel war eingedrückt, und der Dachgepäckträger machte den Eindruck, bei einer starken Erschütterung abfallen zu können.
    Der Fahrer umarmte Louise, als sie herankamen. »Hast dich rar gemacht.«

    Sie zuckte die Schultern, eine Geste, die Benjamin
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