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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin
Autoren: Alan Bennett
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hemmte, und nur wenige Dienstboten benahmen sich in ihrer Gegenwart natürlich. Norman war zwar seltsam, aber ganz er selbst, und er schien auch zu gar keiner Verstellung in der Lage. Das war höchst selten.
    Die Queen wäre womöglich weniger erfreut gewesen, hätte sie gewusst, dass Norman von ihrer Gegenwart so unbeeindruckt blieb, weil sie ihm so uralt vorkam, weil ihr königliches Geblüt von ihrem Alter ausgelöscht wirkte. Sie war vielleicht die Königin, aber sie war auch eine alte Dame, und da Norman seine ersten Schritte in der Arbeitswelt in einem Altenheim in Newcastle getan hatte, konnten alte Damen ihn nicht schrecken. Norman betrachtete sie zwar als Arbeitgeberin, aber ihres Alters wegen ebenso sehr als Patientin wie als Königin, und beide musste man bei Laune halten. So dachte er allerdings nur, bis er bemerkte, wie scharf ihr Verstand war und wie verschwendet an ihre Aufgaben.
    Außerdem jedoch war sie ein zutiefst konventioneller Mensch, und als sie zu lesen anfing, kam ihr der Gedanke, sie sollte das vielleicht an einem Ort tun, der dafür explizit vorgesehen war, nämlich in der Palastbibliothek. Doch obwohl der Raum Bibliothek hieß und auch tatsächlich Bücherregale alle Wände einnahmen, wurde darin doch höchst selten, wenn überhaupt, je ein Buch gelesen. Hier wurden Ultimaten gestellt, Grenzen gezogen, Gesangbücher kompiliert und Ehen beschlossen, aber wenn man es sich mit einem Buch gemütlich machen wollte, dann sicher nicht in der Bibliothek. Es war sogar kaum möglich, dort etwas zum Lesen in die Finger zu bekommen, denn in den sogenannten offenen Regalen waren die Bücher hinter verschlossenen und vergoldeten Gittern weggesperrt. Viele von ihnen waren unbezahlbar, auch das nicht gerade einladend. Nein, wenn man lesen wollte, dann eher an einem nicht dafür vorgesehenen Ort. Die Queen dachte sich, darin steckte womöglich eine Lebensweisheit, und ging wieder nach oben.
    Nachdem sie Nancy Mitfords Fortsetzung Liebe unter kaltem Himmel ausgelesen hatte, entdeckte sie erfreut, dass Mitford noch mehr Bücher geschrieben hatte, und wenn einige davon auch historische Werke zu sein schienen, setzte sie doch alle auf ihre (neu angelegte) Leseliste, die sie in ihrem Schreibtisch verwahrte. Vorerst machte sie sich an Normans Vorschlag, Mein Hund Tulip von J. R. Ackerley. (War sie ihm begegnet? Sie glaubte nicht.) Das Buch gefiel ihr, wenn auch nur, weil der fragliche Hund, wie Norman schon erwähnt hatte, ein noch schwierigerer. Fall war als die ihren, und ebenso unbeliebt. Da Ackerley auch eine Autobiographie geschrieben hatte, schickte sie Norman zur London Library, um sie auszuleihen. Sie war zwar Schirmherrin der berühmten Londoner Bibliothek, doch sie hatte noch selten einen Fuß hineingesetzt, Norman natürlich ebenso wenig, und als er zurückkehrte, erzählte er aufgeregt und verwundert von ihrem altmodischen Charme, nannte sie die Sorte Bibliothek, von der er bisher nur in Büchern gelesen und die er für ein verschwundenes Phänomen gehalten hatte. Er hatte die labyrinthartigen Regalgänge durchwandert und gestaunt, dass er (oder vielmehr Sie) all diese Bücher jederzeit ausleihen konnte. Sein Enthusiasmus wirkte so ansteckend, dass die Queen erwog, ihn beim nächsten Mal vielleicht zu begleiten.
    Sie las Ackerleys Selbstdarstellung und wunderte sich kaum, dass er, ein Homosexueller, für die BBC gearbeitet hatte, fand jedoch, dass er insgesamt ein trauriges Leben geführt hatte. Sein Hund faszinierte sie, auch wenn die beinahe veterinärmedizinischen Intimitäten, mit denen er das Tier bedachte, sie ein wenig aus der Fassung brachten. Überrascht war sie, dass die Soldaten des Wachregiments so leicht und zu so erschwinglichem Preis zu haben waren. Darüber hätte sie gern mehr erfahren; doch obwohl einige ihrer Diener dem Wachregiment angehörten, hielt sie es kaum für möglich, sie zu fragen.
    E. M. Forster kam in den Memoiren vor, und sie erinnerte sich, mit ihm eine unbehagliche halbe Stunde verbracht zu haben, als sie ihm den Orden der Companions of Honour verliehen hatte. Mäuschenstill und schüchtern, wie er war, hatte er kaum etwas gesagt und das Wenige mit so leiser Stimme, dass jegliche Unterhaltung so gut wie unmöglich war. Aber doch so etwas wie ein stilles Wasser: Er hatte ihr mit aneinandergepressten Händen gegenübergesessen wie eine Figur aus Alice im Wunderland und sich nicht anmerken lassen, was er dachte, und sie war daher angenehm überrascht, als sie bei der
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