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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin
Autoren: Alan Bennett
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einer ganzen Reihe von Ausreden war, manche von ihnen mit weitreichenden Folgen, die ihre fortgesetzte Lektüre bald erfordern würde.
    Am nächsten Tag hielt die Queen eine ihrer regulären Sitzungen mit ihrem Privatsekretär ab, und eines der Themen dabei waren die ›Mitarbeiter‹, wie das heute hieß.
    »Zu meiner Zeit«, hatte sie gesagt, »nannte man sie ›Personal‹.« Nein, eigentlich nicht. Eigentlich nannte man sie ›Dienstboten‹. Auch diese Bezeichnung erwähnte sie, weil sie wusste, es würde eine Reaktion provozieren.
    »Das könnte leicht missverstanden werden, Ma’am«, sagte Sir Kevin. »Man versucht doch, die Öffentlichkeit nicht vor den Kopf zu stoßen. ›Dienstboten‹ transportiert da eine falsche Botschaft.«
    ›»Mitarbeiter‹«, entgegnete die Queen, »transportiert überhaupt keine Botschaft. Jedenfalls nicht zu mir. Wo wir jedoch schon beim Thema Mitarbeiter sind, es gibt einen darunter, derzeit in der Küche beschäftigt, den ich gern befördern oder jedenfalls oben bei mir beschäftigen würde.«
    Sir Kevin hatte noch nie von Seakins gehört, aber nachdem er sich bei verschiedenen Hofbeamten umgehört hatte, konnte er ihn schließlich ausfindig machen.
    »Ich begreife gar nicht«, sagte Ihre Majestät, »wie er überhaupt in der Küche landen konnte. Es handelt sich offensichtlich um einen jungen Mann von einiger Intelligenz.«
    »Nicht adrett genug«, sagte der Hofbeamte, allerdings nicht zur Queen, sondern zum Privatsekretär. »Dünn und rothaarig. Ich bitte Sie.«
    »Madam scheint Gefallen an ihm zu finden«, sagte Sir Kevin. »Sie möchte ihn oben bei sich haben.«
    So fand sich Norman unverhofft vom Tellerwaschen befreit und (nicht ohne Schwierigkeiten) in eine Pagenuniform gesteckt und mit Dieneraufgaben betraut, deren erste kaum überraschend mit der Bibliothek zu tun hatte.
    Da sie am kommenden Mittwoch keine Zeit hatte (Kunstturnen in Nuneaton), trug die Queen Norman auf, ihren Nancy-Mitford-Roman zurückzubringen und ihr auch den Folgeband, den es offensichtlich gab, auszuleihen, dazu weitere Lektüre, die ihr gefallen könnte.
    Dieser Auftrag bereitete ihm einiges Kopfzerbrechen. Er war zwar einigermaßen belesen, doch vor allem Autodidakt, und suchte seine Lektüre in erster Linie danach aus, ob ein Autor schwul war oder nicht. Das ließ zwar weiten Spielraum, war aber dennoch eine Einschränkung, vor allem, wenn man ein Buch für jemand anderen aussuchen sollte, und umso mehr, wenn es sich dabei zufällig um die Queen handelte.
    Und auch Mr. Hutchings war keine große Hilfe, außer durch seine Erwähnung von Hunden als mögliches Interessengebiet Ihrer Majestät, die Norman an ein Buch erinnerte, das er gelesen hatte und das ins gewünschte Profil passen könnte, nämlich J. R. Ackerleys Roman Mein Hund Tulip. Mr. Hutchings hegte Zweifel und wies darauf hin, dass es sich um einen Schwulenroman handele.
    »Wirklich?«, sagte Norman unschuldig. »Ist mir gar nicht aufgefallen. Sie wird denken, dass es nur um den Hund geht.«
    Er brachte die Bücher hinauf ins Stockwerk der Queen, und da man ihm eingeschärft hatte, sich so wenig wie möglich blicken zu lassen, versteckte er sich hinter einem Intarsienschrank, als der Herzog vorbeikam.
    »Habe heute Nachmittag eine erstaunliche Gestalt gesehen«, berichtete Seine Königliche Hoheit später. »Karottenköpfiger Kammerdiener.«
    »Das muss Norman gewesen sein«, antwortete die Queen. »Ich habe ihn im Bücherbus kennengelernt. Er hat bisher in der Küche gearbeitet.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte der Herzog.
    »Er ist sehr intelligent«, erklärte die Queen.
    »Muss er auch«, sagte der Herzog, »bei dem Aussehen.«
    »Tulip«, sagte die Queen später zu Norman. »Komischer Name für einen Hund.«
    »Es soll ja fiktional sein, Ma’am, allerdings hatte der Autor im wirklichen Leben auch einen Hund, einen Deutschen Schäferhund.« (Er verriet ihr nicht, dass der Queenie geheißen hatte.) »Es ist also im Grunde eine verfremdete Autobiographie.«
    »Ach«, sagte die Queen. »Aber warum denn verfremdet?«
    Norman dachte, wenn sie das Buch läse, würde sie es schon merken, sagte das aber nicht laut.
    »Keiner seiner Freunde konnte den Hund leiden, Ma’am.«
    »Das Gefühl kenne ich sehr gut«, sagte die Queen, und Norman nickte ernst, denn die königlichen Hunde waren allgemein nicht sehr beliebt. Die Queen lächelte. Was war Norman doch für ein erstaunlicher Fund. Sie wusste, dass sie Menschen einschüchterte und
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