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Die Soldaten

Die Soldaten

Titel: Die Soldaten
Autoren: Tobias O. Meißner
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Holtzenauen war im Begriff, bereits einen weiteren Pfeil aufzulegen, doch Leutnant Gyffs hob abermals die Hand. Sie stemmte sich nun hoch, ihre Wirbelsäule fühlte sich wie geschmolzen an. »Aufhören, von den Holtzenauen, aufhören!«, sagte sie, ihre Befehlsstimme wiederfindend. »Unsere Männer leben alle noch. Die haben uns nichts getan. Die wollten uns gar nichts tun. Sie sind nicht mal bewaffnet.«
    Der Soldat, der bei den Schmetterlingsmenschen des Larnwaldes medizinische Kenntnisse erlangt hatte, blickte irritiert zwischen den Feinden und seiner Vorgesetzten hin und her. Sensa MerDilli und Jeo Kertz bewegten sich fahrig, sie waren benommen, beinahe um ihr Bewusstsein gebracht, aber immer noch lebendig. »Unsere Männer leben alle noch?«, fragte von den Holtzenauen heftig atmend. »Und was ist mit der gesamten Ersten Kompanie? Was ist mit Leutnant Fenna? Mit Korporal Deleven?« Er legte den nächsten Pfeil auf und spannte die Sehne. Dabei zitterte alles, die gesamte Wagenfläche schien zu erschauern.
    Der Affenmensch hielt sich immer noch im Sattel. Ein dumpfes Grollen drang aus seiner Kehle. Einer seiner Gefährten stützte ihn. War das etwa Blut, das als dünner Faden unter der Maske des zweifach Angeschossenen hervorlief? Aus seinem Mund? Aus seinen Augen?
    Leutnant Gyffs kam nun endlich auf die Beine. »Wenn du schießt, Soldat, ist das eine direkte Befehlszuwiderhandlung.«
    »Aber was soll denn das?«, fragte von den Holtzenauen verzweifelt. »Sind wir nicht deshalb hier? Um zu töten? Um getötet zu werden?«
    »Heute nicht mehr«, ächzte Gyffs. »Heute ist genug gestorben.« Sie fühlte sich nicht ganz so großherzig, wie diese Worte klangen. Sie wusste einfach, dass die noch unverwundeten beiden Affenmenschen sie alle umbringen konnten, wenn sie jetzt wütend wurden. Ob bewaffnet oder nicht. Stodaert, MerDilli und Kertz waren hilflos. Ihre körperliche und geistige Erschöpfung war so groß, dass es Gyffs vorkam, als seien sie alle einfach umgefallen, vollkommen ohne feindliche Einwirkung. Von den Holtzenauen und sie selbst standen alleine gegen zwei Gegner, die selbst von Langbogenpfeilen nicht so schnell aufgehalten werden konnten.
    Alles hing nun in der Schwebe. Gyffs ahnte, dass sie sterben würden, dass alles, was hier an diesem Ort von der Dritten Kompanie des Zweiten Bataillons der Festung Carlyr noch übrig war, zugrunde gehen würde, falls der angeschossene Affenmensch sich nicht mehr im Sattel halten konnte. In der Überwindung seines Sterbens lag ihr Überleben.
    Und er hielt sich. Er gab ein Geräusch von sich, das wie ein Lachen klang, aber wie ein schluchzendes. Dann verfielen die drei Einhornreiter endlich in einen langsamen Trab und ließen den besiegten Armeewagen vereinsamt hinter sich zurück.
    Von den Holtzenauen hatte immer noch den Pfeil aufgelegt, die Sehne gespannt. Er wirkte, als würde er in Tränen ausbrechen, wenn er sich gestattete, die Anspannung zu lösen. Also kletterte Gyffs zu ihm hoch und nahm ihm erst den Pfeil, dann den ganzen Bogen aus den verkrampften Fingern. Langsam und behutsam, als würde sie eine tiefe Wunde versorgen.
    Während von den Holtzenauen sich um Kertz, MerDilli und Stoadert kümmerte, umrundete Leutnant Gyffs zu Fuß den Wagen und betrachtete die Plane.
    Sie war nicht zerschlissen, sondern bemalt worden. Mit roten Händen. Affenmenschenhänden. Im Vorüberreiten hatten die Gegner mehrmals den Wagen signiert.
    Warum? Was für ein Brauch steckte dahinter? War es eine Form von Magie, ein Bannzauber? Oder eine Markierung, für andere Affenmenschen, die sich zwischen hier und Carlyr aufhalten mochten: Diesen Wagen bitte passieren lassen, denn er trägt unsere Botschaften in die Welt der Menschen!
    Sie wusste es nicht. Alles Raten führte nur immer wieder in die Irre. Sie alle wussten so gut wie nichts über dieses hinter der Felsenwüste verborgene Volk. Und Onjalban, der auch für sie ein Übersetzer hätte sein können, hatte sich entschieden, die Menschen zu bekämpfen.
    Kertz und MerDilli fehlte nichts Ernstliches, sie waren einfach nur hart geschlagen und dadurch betäubt worden. Um Stodaert dagegen stand es schlecht. Von den Holtzenauen tat, was in seiner Macht lag, aber das war, wie er selbst zugab, nicht viel.
    Sie befanden sich sechs Tage von der Festung Carlyr entfernt und hatten nicht einen einzigen Tropfen Wasser und nicht einen einzigen Krümel Proviant an Bord.

7

    Ihnen blieb nur eine Chance, wenn sie nicht unterwegs verschmachten
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