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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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über die Manneskraft ihres sonst so schwerfälligen Gatten wundern, über den unerhofften und seltenen Genuß. Aber war es denn ein Wunder, wenn in eiskalten Winternächten, in zugigen Räumen und mit leerem Magen die Manneskraft hin und wieder auf der Strecke blieb? Warum also Fragen stellen, wenn einem die Nacht wohlgesonnen war …?
    Nachdem Jerg Sureya wieder versöhnlicher gestimmt und versprochen hatte, so bald wie möglich wiederzukommen, raffte er sich schließlich widerwillig zum Gehen auf.
    Sureya reckte und streckte sich, als wäre sie gerade aus einem langen, erholsamen Schlaf erwacht. Dann erhob sie sich noch einmal, um Holzscheite nachzulegen. Sie wußte, daß sie zuden wenigen Glücklichen gehörte, denen noch Brennholz zur Verfügung stand. Doch dies hätte Sureya niemals dazu veranlaßt, ihren Vorrat mit anderen, besonders Bedürftigen, zu teilen. Ganz im Gegenteil: In der Gewißheit, daß ihre Quelle für Brennholz nicht so schnell versiegen würde, verfeuerte sie schamlos und geradezu verschwenderisch einen Scheit nach dem anderen. Daß die Dorfbewohner für Sureya keine Sympathien übrighatten, mußte sie daher nicht wundern. Aber das störte sie nicht im geringsten. Sie war es gewohnt, daß man ihr Ablehnung entgegenbrachte, sie zumindest mit Argwohn beobachtete, und war zufrieden, wenn man sie in Ruhe ließ.
    Gedankenverloren setzte sich Sureya neben das lichterloh brennende Feuer und begann, Wanzen von den Lumpen ihrer Schlafstatt abzusammeln. In der warmen Hütte vermehrten sich die gepanzerten Tiere zuhauf, wovon Sureyas zerbissene Oberarme und Beine ein Zeugnis ablegten. Als sie eine Handvoll der kleinen, schwarzen Viecher zusammen hatte, warf sie sie schwungvoll ins Feuer. Die kleinen Körper knisterten und lösten sich zu Staub auf. Plötzlich wurde Sureya übel. Der Geruch der verbrannten Panzer erinnerte sie an einen anderen, schon längst vergessen geglaubten Geruch: den Gestank verbrannter Tierleiber. Auf einmal hielt sie es in der kleinen Hütte nicht mehr aus und trat hastig hinaus in die klare, kalte Winterluft.
    Später versuchte sie einzuschlafen, doch ihre Gedanken wanden sich einer Schlange gleich durch das Dickicht ihrer Vergangenheit. Frühere durchwachte Nächte hatten sie gelehrt, daß sich diese Schlange nicht aufhalten ließ. Aber sie konnte sie zwingen, bestimmte Wege zu nehmen und andere zu umgehen. Um keinen Preis wollte sie dabei erneut dem Geruch von Tierkadavern begegnen, den die Schlange nach Monaten des Stillhaltens heute wieder hervorgerufen hatte. Statt dessen zwang sie das Untier in ihrem Kopf zurück in ihre Kindheit …
    Von klein auf hatte sie gelernt, auf niemanden angewiesen zu sein, schon gar nicht auf Mitglieder des eigenen Geschlechts. Wie so viele andere schöne Frauen vor ihr wurde auch sie von Kindesbeinen an von ihren Geschlechtsgenossinnen, allen voran von ihrer eigenen Mutter, argwöhnisch beäugt: War es denn möglich, daß ihre Beine noch länger wurden? Konnte es sein, daß ihr Mund noch voller zu werden schien? Die Brüste, so jung und frisch! Und diese Haare – schienen die nicht von geradezu überirdischer Schönheit zu sein? Bei soviel prachtvoller Weiblichkeit zogen sich die anderen voller Neid zurück. Selbstverständlich blieb dieser Reichtum auch den Männern nicht verborgen. Allen voran waren da die »Freunde« ihrer Mutter, mit der Sureya in einem alten, bunt angestrichenen Pferdewagen durch die Lande zog. Nerva verdiente sich ihren Lebensunterhalt, indem sie jedem ihre Dienste anbot, der mit Naturalien oder ein paar Hellern in der Hand daherkam. Auf diese Weise konnten sie zwar kein üppiges Leben führen, aber zusammen mit kleineren Diebstählen war es Nerva möglich, sich, ihre Tochter und den alten Gaul durchzubringen. Und da sie Jahr für Jahr die gleiche Route wanderte, dabei immer wieder durch dieselben Dörfer und Städte kam, hatte sie mittlerweile überall einen Stamm von Kunden, die sie regelmäßig und gerne aufsuchten.
    Sureya dachte nicht ungern an diese ersten Jahre ihres Lebens zurück. Sie kannte nichts anderes als den ewigen Rhythmus von Rast und Wanderschaft, war mit dem gleichmäßigen Schaukeln des Pferdewagens aufgewachsen und wäre unglücklich gewesen, wenn ihre Mutter beschlossen hätte, irgendwo seßhaft zu werden und Wurzeln zu schlagen. Denn obwohl sie manche Städte lieber mochte als andere, so wollte sie doch in keiner für immer bleiben. In jeder Stadt gab es Kinder, die mit Steinen nach ihr warfen, an
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