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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine
Autoren: Kate Furnivall
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versicherte ihm mit weit aufgerissenen Augen, sie möge zwar erst siebzehn Jahre alt sein, habe aber dennoch bereits so manche gefährliche Situation durchgestanden und gelernt, damit umzugehen.
    »Aber die Gefahren hier sind anders«, hatte er ihr geduldig erklärt. »Sie lauern überall. In der Luft, die du atmest, in dem chleb , dem Brot, das du isst, und in dem Kissen, auf das du nachts dein Haupt bettest. Wir leben im Russland Josef Stalins. Niemand ist hier sicher.«
    »Dawai, dawai, dawai ! Komm schon, komm, na los!«
    Die Zecher riefen diese Anfeuerungen im Chor, doch in Alexejs Ohren waren sie so misstönend wie das Blöken von Schafen. Die Leute aus dem Ort hatten ihre paar jämmerlichen Kopeken auf den eigenen Mann gesetzt und drängten sich jetzt um den Tisch mit den Kontrahenten, die mittlerweile so nah beieinander saßen wie ein Paar, das der körperlichen Liebe frönt, mit offenen Mündern und Speichelfäden zwischen den Lippen. Zwischen Popkows Arm und dem Tisch war nur noch ein Hauch Platz. Nicht einmal die Klinge eines Messers hätte noch daruntergepasst. Alexej spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, als er sah, wie Lydia sich zu dem Kosaken hinabbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Inmitten all der anderen mit ihren breiten, dunklen Gesichtern und den dick eingemummelten Leibern wirkte sie schmal und klein, doch ihre rote Haarmähne stand wie eine leuchtende Flamme um ihr Gesicht, während sie sich dort in dem schummrigen Licht zu Popkows fettigem schwarzem Lockenkopf hinabbeugte.
    Es dauerte nur einen Moment. Nicht länger. Dann begann sich der muskelbepackte Arm ganz allmählich zu heben, drückte den anderen Arm Zoll für Zoll zurück, bis die Menge erschrocken aufheulte. Der Mann aus dem Dorf holte mit geblähten Nasenflügeln Luft und stieß einen Schlachtruf aus, doch auch das half ihm nicht. Popkows Arm war unaufhaltsam.
    Was, zum Teufel, hatte sie zu ihm gesagt?
    Ein letztes Brüllen von Popkow und der Kampf war zu Ende, als er die fleischige Faust seines Gegners auf den Tisch schmetterte. Bei der Wucht des Aufpralls knirschte der Tisch wie vor Schmerz. Alexej stieß sich von der Brüstung ab, machte auf dem Absatz kehrt und ging in Richtung seines Zimmers, nachdem er gesehen hatte, wie Lydia blitzschnell einen Blick in seine Richtung geworfen hatte. In ihren lohfarbenen Augen leuchtete ein Ausdruck des Triumphs.
    Alexej lehnte sich lässig gegen die Tür von Lydias Zimmer und blickte sich in dem winzigen Raum um. Es war kaum besser als eine Gefängniszelle. Ein schmales Bett, ein Stuhl aus Holz und ein Metallhaken hinter der Tür für die Kleider. Das war alles. Eines musste er ihr lassen: Über die Umstände, in denen sie lebten, beklagte sie sich nie, ganz gleich, wie schlecht sie waren.
    Draußen war es dunkel, der Wind brachte ein paar lockere Schindeln auf dem Dach zum Klappern, und die nackte Glühbirne an der Decke flackerte. In Russland, das hatte Alexej gelernt, durfte man nichts für selbstverständlich halten. Und man wusste alles zu schätzen, denn man wusste nie, wie lange es noch da war. An einem Tag mochte es Strom geben, doch schon morgen konnte er abgestellt sein. Heizungsrohre klapperten und rasselten wie die Straßenbahnen auf dem Newski-Prospekt, gaben einen Tag noch miefende Hitze von sich, blieben am nächsten Tag jedoch kalt und still. Das Gleiche galt für die Züge. Wann würde der nächste kommen? Morgen? Nächste Woche? Oder erst nächsten Monat? Um in diesem riesigen, erbarmungslosen Land auch nur die kürzesten Entfernungen zurückzulegen, brauchte man die Geduld von Lenin in seinem verdammten Mausoleum.
    »Nicht böse sein.«
    Alexej richtete den Blick auf Lydia. »Ich bin nicht böse. Ich hab gar nichts gesagt.«
    »Aber ich kann dich hören. In deinem Kopf. Du maulst.«
    »Warum sollte ich maulen, Lydia? Sag mir, warum.«
    Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, auf eine Art und Weise, mit der sie ihn immer wieder aus der Fassung brachte, weil sie ihm damit das Gefühl vermittelte, seine Gedanken lesen zu können. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett, hatte sich die dünne Bettdecke über die Schultern gelegt und ein viereckiges Stück Stoff über ihren Knien ausgebreitet. Mit flinken Fingern zählte sie ihre Gewinne und stapelte die Münzen zu kleinen Türmchen.
    »Aus irgendeinem Grund bist du wegen des Armdrückens wütend auf mich.« Lydia schaute nachdenklich auf die Münzhäufchen hinab. »Es schadet nicht, Alexej. Es ist nicht so, als
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