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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine
Autoren: Kate Furnivall
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Augen und wiegte sich vor und zurück.
    Elena war noch nicht fertig. »Er möchte, dass du mit uns kommst.«
    Lydia rieb sich die Hände, als wäre es der beißende Wind, der sie zum Zittern brachte. » Tschort! Liew, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Ich auf einem Bauernhof? Sei nicht blöd. Ich bin kein Bauerntölpel, der nur Stroh im Kopf hat. Geh du und spiel mit deinen Schaufeln und Hacken, aber grab deine Löcher ohne mich.«
    Ganz kurz sah sie einen Ausdruck der Erleichterung über Elenas Gesicht huschen.
    »Was wirst du tun?« Popkows tiefe Stimme klang angespannt.
    »Oh, ich bin bald in Sicherheit, mach dir keine Gedanken. Ich gehe zurück nach China.«
    Er schüttelte wie ein wütender Bulle den Kopf, als wäre der plötzlich viel schwerer geworden. »Du konntest es nicht erwarten, aus China rauszukommen. Du sagtest, du hasst es dort.«
    »Ich habe gelogen.«
    »Lass das Mädchen in Ruhe, Liew.« Das war Elena. Sie musterte Lydia mit einem halbherzigen Lächeln auf den Lippen. »Es ist nicht der Ort, den sie liebt, begreifst du das nicht? Es ist der Mensch.«
    »Aber …«
    »Kein Aber! Hör auf, mich zu verhätscheln, du dummer Kosak«, beklagte sich Lydia. Sie schob ihn von sich weg. »Hau jetzt ab in deine Ukraine.« Sie lächelte breit, was sie selbst ein wenig überraschte, und lachte sogar ein wenig. »Hab ein gutes Leben. Danke für alles.«
    Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging davon. Doch sie war kaum mehr als zehn Schritte in Richtung Smolensk-Platz gegangen, als jemand sie hochhob und sie in seine Arme riss. Sie baumelte ein Stück über dem vereisten Boden, umschlungen von einer gewaltigen Umarmung, und fast blieb ihr die Luft weg, während sie ein letztes Mal die Arme um ihn schloss. Mit jeder Sekunde drückte er sie noch fester an sich und machte dabei sanfte, brummende Geräusche.
    Ebenso plötzlich setzte er sie wieder ab. Sie schob ihm Dmitris goldenen Ring in die Tasche. »Kauft euch ein bisschen Land«, sagte sie, und dann ging sie weg, ohne zurückzuschauen.
    Zu Fuß begann Lydia, die Stadt zu durchqueren, begriff jedoch bald, dass sie nicht die Kraft hatte, es auch nur bis zum Arbat zu schaffen. Deshalb bestieg sie eine Pferdedroschke, legte sich die bereitliegende Decke über ihre Knie und schlang die Arme um ihre bandagierte Taille. Es handelte sich um ein offenes Gefährt, in dem man der Witterung ausgesetzt war, doch das gefiel ihr. Der Himmel, der tief über den Moskauer Dächern hing, sah grau und alt aus, und sie dachte voller Trauer daran, dass sie bald die Stadt verlassen musste, in die sie sich verliebt hatte.
    Das Zugpferd trabte langsam und gleichmäßig vor sich hin, was ihr Zeit zum Nachdenken gab. Sie schloss die Augen und ließ es zu, dass sich ihr Bewusstsein öffnete, so wie es Chang An Lo ihr beigebracht hatte, doch da waren immer noch die Bilder von der Feuersbrunst, die sie bedrängten, die Flammen, die an ihrem Gesicht leckten und in ihren Ohren prasselten. Lieber klammerte sie sich an eine andere Erinnerung: daran, wie sich die Hand ihres Vaters in der ihren angefühlt hatte, und an seine Stimme, als er gesagt hatte: Ich hab dich lieb dafür, dass du zurückgekommen bist.
    »Papa«, flüsterte sie. »Ich komme zurück.«
    Eines Tages würde sie das wirklich tun. Sie wusste weder wann noch wie, doch sie würde zurückkommen. Russland war tief mit ihrem Inneren verwoben, und sie wusste, dass sie ebenso wenig dieser Stadt der Kuppeln fernbleiben konnte wie der schwarzen Erde, die Popkow und Elena in der Ukraine durchpflügen würden.
    Ein Karren rumpelte auf der Straße vorbei, und ein Hupen brachte sie zu dem zurück, was vor ihr lag. Sie musste Alexej sehen. Er war mit Antonina in ihrer Wohnung, und Lydia musste mit ihm reden. Sie war wütend auf ihn, weil er von Chang verlangt hatte, sie aufzugeben, doch – und bei diesem Gedanken musste sie auf einmal die Augen weit aufreißen, und ihr Herz klopfte heftig – ganz gleich, was Alexej sagte, würde Chang in China auf sie warten. Sie holte tief Luft und sagte laut: »Sei dort, mein Geliebter. Sei dort. Meinetwegen.« Denn sie fürchtete, wenn er erst wieder in China war, dann würden sein Land und seine Götter ihn ihr vielleicht wieder wegnehmen.
    »Vertrau ihm«, flüsterte sie sich selbst zu und spürte, wie der Wind ihnen ihre Worte zutrug.
    In der Wohnung herrschte Chaos. Überall standen Kisten herum. Pelze, Kerzenhalter, ja, sogar ein silberner Samowar quollen aus ihren klaffenden
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