Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter
Autoren: Rachel Klein
Vom Netzwerk:
einschlafen, und jeden Abend, nachdem ich eingeschlafen war, kam mein Vater herein und schaltete sie aus. Wenn ich mitten in der Nacht aufwachte, schaltete ich die Lampe wieder ein, doch morgens brannte sie nie. Damals glaubte ich, mein Vater bliebe die ganze Nacht auf, um dafür zu sorgen, dass meine Lampe ausgeschaltet war. Später fand ich heraus, dass er lange aufblieb, um Gedichte zu schreiben. Der Fuß der Lampe war Türkis, der kleine Schirm weiß mit türkisen Punkten. Wenn die Lampe brannte, leuchteten die Punkte.
    Nachdem mein Vater gestorben war, wollte ich ihn festhalten, indem ich unsere Rituale wiederholte. Wenn ich im botanischen Garten spazieren ging, erwartete ich, ihn dort zu treffen. Ich spähte die Wege entlang, hinter Bäume, durch die Glaswände des Gewächshauses, über den Teich im japanischen Garten hinweg. Falls er zurückkäme, dann würde ich ihn hier finden.
    Ich sah Lucy erst, als wir nach dem Abendessen im Aufenthaltsraum rauchten. Ich fragte sie, ob sie ein Auswärtsspiel mit der Hockeymannschaft gehabt habe. »Ich war bei Ernessa. Sie hat mir bei Deutsch geholfen. Sie ist einfach unglaublich. Spricht absolut fließend. Ich bin nicht in mein Zimmer zurückgegangen, weil ich Angst hatte, Mrs. Halton könnte mich sehen.«
    Mrs. Halton verlässt während der Ruhezeit nie ihr Zimmer. Sie würde nicht mal herauskommen, wenn das Haus in Flammen stünde. Außerdem wohnt Ernessa genau gegenüber. Lucy schien verärgert. Dabei kann sie in der Ruhezeit tun, was ihr gefällt. Allerdings verstehe ich nicht, wie sie es eine geschlagene Stunde in diesem Zimmer aushalten kann. Es riecht so. Es ist nicht wie der Alte-Socken-Geruch in Charleys Zimmer. Es würgt mich, wenn ich an Ernessas Tür vorbeikomme.
23. September
    Dass jemand Gedichte verfasst, beeindruckt mich nicht.
    Wenn es nach mir ginge, wäre Mr. Davies besser ein ganz normaler Englischlehrer. Im nächsten Halbjahr bietet er einen Kurs »Lyrik-Praxis« an. Alle werden ihre Gedichte vorlesen, und die Klasse sagt ihre Meinung dazu. Wie furchtbar! Heute bat er mich, nach dem Unterricht noch ein paar Minuten dazubleiben. Ich konnte sehen, wie Claire innerlich kochte. Sie ist total verrückt nach ihm und hängt nach dem Unterricht immer in seiner Nähe herum, weil sie mit ihm reden will. Sie weiß gar nicht, wie lächerlich sie sich macht. Ich vermute, genau das ist mit dem Wort »vernarrt« gemeint. Ich interessiere mich überhaupt nicht für ihn. Er hat etwas Muffiges. Ich frage mich, ob seine Gedichte so sind wie er. Er hat mich gefragt, ob ich seinen Lyrik-Kurs belegen möchte. Alle müssten etwas schreiben, um hineinzukommen, doch er sei sicher, ich würde es gut machen.
    »Du bist die Einzige im Kurs, die die Geschichten versteht«, sagte er. »Die anderen Mädchen sind gelangweilt, verwirrt oder beides. Außerdem besitzt du die Empfindsamkeit einer Dichterin. Das ist ein guter Anfang.«
    Darüber habe ich mich geärgert. Woher will er wissen, welche Empfindsamkeit ich habe?
    Eigentlich wollte er nur über meinen Vater, den großen Dichter, sprechen. Er will durch mich etwas über meinen Vater erfahren, aber das lasse ich nicht zu. Warum sollte ich mit irgendjemandem über meinen Vater reden? Lucy fragt mich nie nach ihm. Das mag ich so an ihr.
    Claire wartete im Flur auf mich. Sie wollte Wort für Wort hören, was er gesagt hatte. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, wie lächerlich sie sich damit macht. Sie läuft ihm nach wie ein Schäferhund mit ihrer breiten Nase, den dicken Lippen und den Ringellocken, die ihr in die blauen Augen fallen. Ich warte nur drauf, dass sie anfängt zu hecheln und ihre rosa Zunge aus dem Mund baumeln lässt.
    Gestern kam Sofia weinend in mein Zimmer, weil Claire gesagt hatte, die dunklen Haare um ihre Brustwarzen seien abstoßend und würden Männer abschrecken. Sofia war entschlossen, sie auszuzupfen. Ich riet ihr davon ab. Sie würden nur noch dichter und dunkler nachwachsen. So würde sie die Haare nie los. Claire weiß, dass Sofia wie besessen von ihrem Körper ist. Ich glaube, es hat mit ihrer italienischen Herkunft zu tun, dass sie sich um ihre Wirkung auf Männer sorgt. Sofia redet immer davon, im Bett una bella figura zu machen, obwohl sie noch nie mit einem Mann im Bett gewesen ist.
    »Hast du mal Claires Titten gesehen?«, fragte ich sie. »Die sehen aus wie Würste.«
    Sie knöpfte ihre Bluse auf und zog den BH herunter. »Was meinst du? Ganz ehrlich.«
    Ich starrte auf ihre winzigen Brüste,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher