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Die Seele des Königs (German Edition)

Die Seele des Königs (German Edition)

Titel: Die Seele des Königs (German Edition)
Autoren: Brandon Sanderson
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sich zurück. Hinter ihr stöhnte der Hauptmann der Greifer leise, aber Frava kniff die Lippen zusammen und sagte nichts. Shai entspannte ihre Muskeln und sprach ein stummes Gebet zu dem Unbekannten Gott.
    Dunkle Nacht! Es hatte den Anschein, als ob sie es ihr wirklich abkaufen würden! Sie selbst wusste genug vom Fälschen, um eine solche Lüge sofort zu durchschauen.
    » Heute Nacht wäre ich geflohen«, sagte Shai. » Was Ihr von mir wollt, muss sehr wichtig sein, denn sonst würdet Ihr Euch nicht an eine Übeltäterin wie mich wenden. Und deshalb will ich eine Bezahlung haben.«
    » Ich könnte dich noch immer hinrichten lassen«, erwiderte Frava. » Hier und jetzt.«
    » Aber das werdet Ihr nicht, oder?«
    Frava biss die Zähne zusammen.
    » Ich hatte Euch gewarnt, dass sie nur schwer zu manipulieren ist«, sagte Gaotona zu Frava. Shai erkannte, dass sie ihn beeindruckt hatte, aber gleichzeitig schien sein Blick … sorgenvoll zu sein. War das der richtige Ausdruck? Dieser alte Mann war für sie genauso schwer zu lesen wie ein Buch, das in svordischer Sprache geschrieben war.
    Frava hob den Finger und spreizte ihn zur Seite. Ein Diener erschien mit einem kleinen, in ein Tuch gehüllten Kästchen. Shais Herz tat einen Sprung, als sie es sah.
    Der Mann öffnete die Verschlüsse an der Vorderseite und hob den Deckel an. Das Innere war mit weichem Tuch ausgepolstert und wies fünf Vertiefungen auf, in denen Seelenstempel lagen. Jedes zylindrische Steinsiegel war so lang wie ein Finger und so breit wie der Daumen eines großen Mannes. Das ledergebundene Notizbuch, das im Deckel des Kästchens lag, war abgenutzt vom häufigen Gebrauch. Shai nahm eine Spur des vertrauten Geruches wahr.
    Es waren Wesenspräger, die mächtigste Art der Seelenstempel. Jeder Wesenspräger musste auf ein bestimmtes Individuum eingestellt werden und konnte dessen Geschichte, Persönlichkeit und Seele für eine kurze Zeit umschreiben. Diese fünf hier waren auf Shai eingestellt.
    » Fünf Wesenspräger zum Umschreiben einer Seele«, sagte Frava. » Jeder einzelne ist eine reine Abscheulichkeit, und ihr Besitz verstößt gegen das Gesetz. Diese Wesenspräger sollten heute Nachmittag vernichtet werden. Selbst wenn du entkommen wärest, hättest du sie verloren. Wie lange dauert es, um einen von ihnen zu erschaffen?«
    » Jahre«, flüsterte Shai.
    Es gab keine weiteren Exemplare. Und es war zu gefährlich, Aufzeichnungen und Diagramme davon zu machen, damit niemand Einblick in die eigene Seele nehmen konnte. Shai ließ diese Wesenspräger nie aus den Augen, es sei denn, sie wurden ihr weggenommen.
    » Bist du bereit, diese als Bezahlung anzunehmen?«, fragte Frava und zog dabei die Mundwinkel herab, als ob sie über eine Mahlzeit aus Schleim und verwestem Fleisch spräche.
    » Ja.«
    Frava nickte, und der Diener schloss das Kästchen wieder. » Dann werde ich dir zeigen, was du dafür tun sollst.«
    Shai war noch nie einem Kaiser begegnet, und erst recht hatte sie noch nie einem Kaiser den Finger ins Gesicht gesteckt.
    Kaiser Ashravan von den Achtzig Sonnen – der neunundvierzigste Herrscher im Reich der Rose – reagierte nicht, als Shai ihn berührte. Er starrte ins Leere; seine runden Wagen waren rosig und gesund, aber sein Gesichtsausdruck war vollkommen leblos.
    » Was ist passiert?«, fragte Shai und richtete sich neben dem Bett des Kaisers wieder auf. Es repräsentierte den Stil des alten Lamio-Volkes; das Kopfteil war wie ein Phönix gestaltet, der sich in den Himmel aufschwingt. In einem Buch hatte sie schon einmal die Zeichnung eines solchen Kopfteils gesehen; vermutlich stammte die Fälschung aus dieser Quelle.
    » Attentäter«, erklärte Schlichter Gaotona. Er stand auf der anderen Seite des Bettes neben zwei Ärzten. Von den Greifern war nur dem Hauptmann namens Tzu die Anwesenheit erlaubt worden. » Die Mörder sind vor zwei Nächten eingebrochen und haben den Kaiser sowie dessen Frau angegriffen. Sie wurde getötet. Der Kaiser wurde von einem Armbrustpfeil am Kopf getroffen.«
    » In Anbetracht dessen sieht er noch erstaunlich gut aus«, bemerkte Shai.
    » Bist du vertraut mit dem Neusiegeln?«, fragte Gaotona.
    » Ein wenig«, antwortete Shai. In ihrem Volk wurde es Fleischfälschung genannt. Dadurch konnte ein Chirurg mit großer Geschicklichkeit einen Körper fälschen, um dessen Wunden und Narben zu entfernen. Dazu aber bedurfte es eines gewaltigen Fachwissens. Der Fälscher musste jede Sehne, jede Ader und jeden Muskel
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